Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Flucht.
Der zweite Schwertkämpfer attackierte Jastail von hinten. Wendra sah es und biss sich auf die Lippe, um Jastail nicht zu warnen. Der Augenblick kam ihr endlos lange vor, doch schließlich schrie sie seinen Namen. Der Wegelagerer schaute sich nicht nach ihr um. Er warf sich sofort zu Boden und rollte nach vorne weg, wodurch er knapp einem Schwerthieb in den Rücken entging. Er kam auf die Füße, führte sein Schwert in einem tödlichen, sicheren Bogen und traf den Mann, der von seinem Schwung weitergetragen wurde, seitlich in den Hals.
Der Kampf hatte die Aufmerksamkeit anderer Händler erregt. Besorgte Rufe waren zu hören, und barsche Fragen aus den Zelten wurden vom leisen Klirren von Klingen und Rüstungen begleitet. Wendra wurde klar, dass Jastail diesen Kampf unbedingt gewinnen musste. Was er auch mit ihr und Penit vorhaben mochte, er war ihre einzige Chance, aus Galadell zu entkommen. Wenn sie diesen Halunken in die Hände fielen, konnten sie und Penit keine Gnade erwarten.
Sie wendete ihr Pferd in Richtung eines Mannes, der Jastail von der Seite belauerte, und trieb es voran. Mit einem mächtigen Satz stürmte es los und trampelte den Mann nieder, ehe er Jastail attackieren konnte. Von links hörte sie schrilles Wiehern. Penit war ihrem Beispiel gefolgt, und der zweite lauernde Schurke wurde zur Seite geschleudert, als Penits Pferd ihn mit seiner breiten Brust rammte.
Während hastige Schritte und aufgeregte Rufe rasch näher kamen, wich der letzte Mann langsam zurück. Jastail sprang in den Sattel und hielt auf die Dunkelheit zu. Wendra und Penit jagten ihm nach. Wieder einmal hatte sie ihrem Entführer das Leben gerettet. Doch von dem Mann, der sie an den letzten Zelten von Galadell vorbeiführte, erwartete sie keine Dankbarkeit.
Sobald sie außer Sichtweite der Zelte waren, bog Jastail vom Weg ab und ritt durch einen lichten, spärlichen Wald. Er preschte durch Bäche und über Hügel, lenkte sein Pferd mal nach links, dann wieder nach rechts, als sei ihm das Terrain nicht vertraut. Trotzdem zwängte er sich ihnen voran durch dichte, tief hängende Zweige, und sie überquerten zwei Flüsse, die so tief waren, dass die Pferde schwimmen mussten.
Wendra hegte den Verdacht, dass Jastail sie so weit wie möglich von jeglicher Hilfe wegführte. Damit wollte er sie wohl davon abhalten zu fliehen. Aber mehr als einmal sah sie ihn auf einer Anhöhe oder Hügelkuppe innehalten und im Halbdunkel nach Westen starren. Der Wegelagerer fürchtete, verfolgt zu werden. Vielleicht hatte er gegen irgendeinen stillschweigenden Kodex verstoßen, den sie bei der Auktion unter den Händlern förmlich gespürt hatte – seinesgleichen mit einem Schwert niederzustrecken verbot womöglich ihre Ehre, sofern sie so etwas kannten. Doch Wendra rief sich in Erinnerung, dass sie den Wegelagerer stets nur als Einzelkämpfer erlebt hatte. Jeden, der ihm einen Gruß wert gewesen war, hatte er für seine eigenen Zwecke ausgenutzt. Die Menschen, die ihn am besten zu kennen schienen, hatte er sogar besonders skrupellos getäuscht und dabei alles aufs Spiel gesetzt. Beim Gedanken daran hatte sie nicht übel Lust, einen Versuch zu wagen und sich mit dem Jungen allein durch dieses wilde Hügelland zu schlagen.
Die letzte Spur Tageslicht überließ den Himmel einem schwächlichen Mond.
»Können wir jetzt anhalten?«, fragte Wendra. »Der Junge ist müde.«
»Sprecht nicht so laut«, zischte Jastail. Er blickte zum Himmel auf. »Die Sterne leuchten hell genug. Wir reiten weiter.«
»Wovor fürchtet Ihr Euch so?«
Er brachte sein Pferd abrupt zum Stehen und warf ihr einen Blick zu, der sie beunruhigte. »Ich befürchte, dass ihr beide sterben könntet, ehe ich irgendeinen Nutzen von euch hatte«, sagte er, schwang ein Bein über den Sattel und ließ sich zu Boden gleiten. »Schön, dann ruht euch aus, aber seid leise. Der Nachthimmel ist dem Verfolger ein besserer Freund als dem Verfolgten.« Er ließ sie allein und begann den Boden abzusuchen.
Penit lehnte sich an sie. »Jetzt könnten wir weglaufen«, sagte er so leise, dass sie die Worte kaum verstand.
»Nein«, erwiderte sie. »Im Dunkeln schnell zu reiten ist zu gefährlich, wenn man den Weg nicht kennt und das Pferd keine feste Straße unter den Hufen hat.«
»Was, wenn sie uns einholen?« Penits Schultern sanken herab. Seine unermüdliche Zuversicht schien nun doch einmal zu erlahmen.
»Dann kämpfen wir gegen sie«, antwortete sie und drückte beruhigend seinen Arm.
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