Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
Vom Netzwerk:
leidenschaftlich argumentiert. Und ich hätte wohl nichts darauf zu erwidern.«
    Wendra hätte ihn am liebsten böse angestarrt, doch sie sorgte dafür, dass er ihr diesen Wunsch nicht ansah. Ihr Schweigen schien Jastail mehr zu beunruhigen, als ihre Worte es vermocht hätten. Seine charmante Fassade fiel von ihm ab wie eine schlecht befestigte Foliett-Maske.
    »Ich bin nicht unter den Planken zur Welt gekommen, gute Frau.« Seine Worte klangen verbittert. »Und nicht jeder Mime schaut verklärt gen Himmel, wenn er seine Verse ersinnt.«
    »Ich soll wohl an den edlen Wilden glauben«, entgegnete Wendra scharf.
    »Ganz und gar nicht.« Er strich über den Einband des Buches, genau so, wie Balatin früher Wendras Haar gestreichelt hatte, ehe er ihr einen Gutenachtkuss gab.
    »Was Ihr von mir haltet, ist mir gleich. Und mir erscheinen die Unterschiede zwischen Adligen und Wilden nicht so groß wie vielen anderen. Ich habe mit Menschen am Feuer gesessen, die einem Mann, der nicht liest, misstrauen und aus dem Weg gehen. In manch anderem Land würde mein Wissen nicht einmal dazu reichen, den höfischen Unrat auf Karren schaufeln zu dürfen.« Jastails Augen glühten. »Aber genau deshalb lese ich diese Werke, und genau deshalb ist es mir gleich, was Ihr von mir denkt.«
    »Ich verstehe«, entgegnete Wendra gelassen. »Eure Bildung ist Eurer Moral nicht bekommen. Ihr seid wie Wasser in einem Krug, der über Nacht auf dem Tisch vergessen wurde – weder kühl genug, um zu erfrischen, noch heiß genug, um zu stärken. Das beste Kennzeichen der Mittelmäßigkeit.«
    Jastail lächelte säuerlich. »Mag sein«, sagte er. »Aber eben das Maß, die … Temperatur, die Ihr gerade genannt habt, verleiht vielen dieser Dichterverse ihre Bedeutung.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Buch. »Diese Männer haben nicht mit schmutzigen Federn eifrig gekritzelt, weil sie hofften, daraus Gewinn zu ziehen. Sie haben damit ihrer Qual Ausdruck verliehen, im Dazwischen gefangen zu sein.«
    »Ihr haltet Euch für gequält?«, unterbrach Wendra ihn. »Ihr glaubt, Ihr könntet solch feinsinnige Betrachtungen würdi gen?«
    Jastail saß mit leicht geöffnetem Mund da, als hätte es ihm die Sprache verschlagen. Dann schloss er den Mund zu einem freundlichen Lächeln und schlug das Buch mit Leichtigkeit an einer bestimmten Stelle auf – Wendra konnte sehen, dass diese Seite oft gelesen worden war. Sie erwartete, dass er ihr jetzt irgendeinen Vers vorlesen würde, um ihr zu beweisen, dass er recht hatte, und ihren Vorwurf zu widerlegen. Doch der Wegelagerer las stumm in seinem Buch, und ein seltsamer Zug um den Mund runzelte leicht seine Lippen. In diesem Augenblick glaubte Wendra, einen Blick auf das unsichere Kind zu erhaschen, das der Straßenräuber einst gewesen war. Dann schlug er das Buch wieder zu und legte es beiseite.
    »Soll ich Euch etwas zu dazwischen gefangen sein erzählen?«, fragte Wendra. Sie bat Penit, zu den Pferden hinüberzugehen und die Wasserschläuche zu holen. »Wie es ist, unter zwielichtiges Gesindel verschleppt zu werden von einem Dieb, der Euch am Spieltisch einsetzt wie eine Münze? Wie es ist zuzusehen, wenn ein Kind vor eine gierige Menge hingestellt und dann versteigert wird wie eine Zuchtsau oder eine Ziege? Klingt das für Euch nach dazwischen gefangen ?« Ihre Stimme wurde immer lauter, je mehr hitzige Anschuldigungen sie ihm entgegenschleuderte. »Erzählt mir doch, wie Ihr als Kind auf der Suche nach Schutz und Freundschaft die Hand Erwachsenen hingestreckt habt, Erwachsenen, die Euch dazu benutzt haben, Eure Freunde zu betrügen, so wie Ihr es mit dem Jungen gemacht habt.« Wendra stand auf und ballte die Hände zu Fäusten.
    Jastail warf ihr einen drohenden Blick zu. »Meine Erzählung könnte Euch überraschen. Aber Ihr vergesst Euch, Mädchen. Wir befinden uns in einer Lage, in der Ihr Euch das nicht erlauben solltet.« Sein Blick blieb finster, doch seine Stimme wurde ein wenig weicher. »Und nichts von alledem, worüber Ihr gesprochen habt, erzählt wirklich vom Dazwischensein.« Er stand auf und schob mit dem Fuß Erde auf die Feuerstelle. Sein breiter Mund und die hellen Augen nahmen denselben undurchdringlichen Ausdruck an wie an jenem Spieltisch, an dem er Wendras Leben verwettet hatte. Diese Miene ließ sie schaudern. Der hitzige Streit brannte noch in ihrer Brust, doch die vollkommene Gleichgültigkeit des Mannes machte es ihr unmöglich, ihre Wut in Tatendrang zu kanalisieren.
    Wortlos saß er

Weitere Kostenlose Bücher