Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Moment lang zart an ihrem Kinn zitterte und dann auf den Weinfleck fiel, mit dem Posian ihr Kleid ruiniert hatte.
Sie wandte den Kopf und sagte etwas zu jemandem in ih rem Gefolge. Posian warf einen raschen Blick auf die Wachen. Sie lächelten durch ihre buschigen Bärte. Ihm fiel auf, dass sich noch mehr Zuhörer um sie geschart hatten, doch er hatte immerzu nur der Königin in die Augen geschaut und die Leute gar nicht bemerkt.
»Dein Name?«, fragte die Königin freundlich.
Posian wandte sich ihr wieder zu. »Euer Hoheit?«
»Wie heißt du, mein Junge?«
»Posian«, antwortete er. Noch immer war er unsicher, was sie von seiner Geschichte halten mochte.
Ein Höfling trat vor und reichte der Königin lächelnd einen Kristallkelch. Ein weiterer schenkte aus einer eleganten Flasche Weinbrand ein. Als das kostbare Glas voll war, zogen die beiden sich zurück, und die Königin blickte auf Posian herab. Sie lächelte herzlich, und die Umstehenden schnappten nach Luft, als sie vor ihm niederkniete.
»Posian, zum Gedenken an diesen Abend werde ich mein Kleid nicht waschen.« Sie reichte ihm den Kristallkelch, und der Duft des Weinbrands stieg ihm süß und scharf in die Nase. »Mit deiner Parabel ist dir gelungen, worum ich dich gebeten hatte, und mehr. Ich werde heute Nacht gut schlafen in dem Wissen, dass du diese Lieder gelernt hast.« Sie zwinkerte ihm zu. »Und jetzt geh zu deinem Lehrmeister, aber ein wenig langsamer, ja?«
Starr vor Ehrfurcht nahm Posian den Kelch mit beiden Händen und bekam von der Königin noch einen Kuss auf die Wange. Sie kehrte auch nicht sogleich zu ihrer Kutsche zurück, wie er erwartete hatte, damit die Feiernden sie nicht in ihrem fleckigen Kleid sahen. Als eine ihrer Hofdamen deswegen protestierte, brachte die Königin sie mit einem schlichten Lächeln zum Schweigen. Dann spazierte sie freimütig unter den Leuten umher und trug stolz den Weinfleck zur Schau. Posian sah ihr noch eine Weile wie gebannt nach, dann eilte er zu Autor Selae. Er hoffte, dass sein Mentor ihm die Verzögerung verzeihen würde, wenn er erst Posians Geschichte hörte.
Und das tat er.
Braethen wurde von seinem Vater, Autor Posian, als Scolito angenommen und entdeckte im Studierzimmer den Kristallkelch auf dem obersten Regal. Sein Vater holte ihn am letzten Tag jeder Woche herab, staubte ihn ab und betrachtete ihn nachdenklich im Morgenlicht. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und las und schrieb.
Eines Abends besuchte Autor Posian Relan Foraw, dessen Frau im Kindbett verstorben war, um ihm ein wenig Trost zu spenden. Die Geschichte von der Königin und dem Kelch hatte Braethen schon länger fasziniert, und er zog einen Stuhl dicht an das Regal und griff nach dem Kristallglas. Als er sich auf Zehenspitzen danach reckte, fiel er gegen das Regal, und der Kelch kippte von seinem Brett. Braethen, der auf dem Stuhl schwankte, versuchte ihn aufzufangen und hätte es beinahe geschafft. Ein schreckliches Klirren hallte durch A’Posians stilles Studierzimmer. Braethen fand das Gleichgewicht wieder und sah im Licht der Öllampe auf A’Posians Schreibtisch zahllose Scherben glitzern. Augenblicklich war ihm klar, dass niemand diesen Kelch würde reparieren können, und ihm wurde elend zumute.
Er hatte den kostbarsten Besitz seines Vaters zerstört, das Symbol für das Leben als Autor, für das er sich entschieden hatte.
Die Haustür ging auf und schloss sich wieder. Braethen sprang vom Stuhl, kniete sich auf den Boden und wollte die Scherben aufsammeln und verstecken. Doch ehe er richtig damit angefangen hatte, sah er ein, dass es zwecklos war. Er blieb auf dem Boden hocken und wartete auf seinen Vater.
Bald darauf betrat der alte Mann den Raum, und sein Blick fiel auf seinen Sohn und den zerbrochenen Kelch. Braethen schluchzte vor Kummer und Schuldgefühlen. Er wollte ihnen Ausdruck verleihen, fand aber keine Worte und sah seinen Vater nur stumm an. Dessen hohle Wangen waren für Braethen bis heute der Inbegriff unendlicher Traurigkeit. Er hatte einen Zornesausbruch von dem alten Mann erwartet oder vielleicht bittere Tränen. Weder noch. Autor Posian hatte nur traurig auf Braethen und die Scherben dessen hinabgeschaut, was die Königin ihm einst als Zeichen ihrer Wertschätzung geschenkt hatte. Dann hatte er die Tür wieder geschlossen und Braethen mit seinem dummen Missgeschick und dessen grässlichen Folgen dort sitzen lassen.
Als Braethen erwachte, war diese albtraumhafte Erinnerung in ihm noch
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