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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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füllten.«
    Der Schreiber schwieg einen Moment lang, dann erzählte er ihnen endlich die ganze Geschichte.
    »Heute Morgen, noch ehe das Höhere Licht ganz über den Kamm im Osten gestiegen war, betraten drei Velle die Lichtung, wie ihr gerade eben. Sie trugen Kapuzen tief vor das Gesicht gezogen, und ich nahm an, sie seien Kuriere aus Decalam, die in letzter Zeit immer häufiger kommen. Ich war dort oben.« Edholm zeigte auf die Felswand. »Ich habe Wache gehalten. Sie gingen ein Stück weit auseinander und bauten sich vor der Klippe auf. Der Erste, der herauskam, um sie zu empfangen – Bene –, wurde augenblicklich von dem Feuer verschlungen. Seine Schreie alarmierten die Wachen und andere Kollegen, die auf die Lichtung eilten, um den Eingang zu verteidigen. Sie alle wurden verbrannt.« Edholm hielt inne und fuhr dann fort: »Noch ehe diese vergebliche Schlacht ganz verloren war, begann es Asche zu regnen. Im Berg hatten sie angefangen, die Bibliothek zu vernichten, damit sie dem Feind nicht in die Hände fiel. Als die Velle dies sahen, kreischten sie vor Wut. Weiß glühende Flammen brachen aus ihren Händen hervor und schossen über die Lichtung. Sie richteten ihren Zorn gegen den Berg selbst. Feuer und Blitze zuckten durch den Boden, die Skulpturen, die Berge, die Felswand, sie krochen in jeden Winkel und jeden Spalt. Bald füllte der beißende Gestank von versengtem Gras und gesprengtem Stein die Luft. Mörtel und Fels schlugen Blasen und zerliefen, die Blitze nährten das Feuer und das Feuer die Blitze. Und all das breitete sich immer weiter aus, setzte mehr Bäume, Erde und Stein in Brand.« Edholm wandte sich der Klippe zu und schüttelte den Kopf wie ein Mann, der etwas nicht glauben will. »Das Feuer versiegelte das Portal binnen weniger Augenblicke. Dann schlugen die Flammen höher und bedeckten fast die ganze Klippe. Der Fels begann zu schmelzen, und ich glaubte zu hören, wie …« Der Schreiber verstummte.
    »Was?«, drängte Tahn sanft.
    »Ich glaubte die Schreie der Männer und Frauen zu hören, die tief in den Kammern von Kumram von dem schrecklichen weißen Feuer verzehrt wurden. Als stiegen ihre Stimmen durch den Boden, auf dem ich stand, und würden bebend durch meine Sohlen bis in meine Brust dringen. Es war grausig, ihre Schreie zu fühlen … grausig. In all meinen Jahren als Schreiber habe ich nicht ein einziges Wort kopiert, nicht einen einzigen Absatz übersetzt, der solch absolute Hoffnungslosigkeit beschrieben hätte. Eine schreckliche Lektion: Alle Tinte, alles Pergament und aller Graphit der Welt können das Ding nicht fassen, das wir Leben nennen. Und noch weniger sind sie dazu in der Lage, den Kummer des Todes festzuhalten.«
    Der Schreiber verstummte und blieb mit dem Rücken zu ihnen stehen. Sutter warf Tahn einen Blick zu und zuckte mit den Schultern.
    »Ich habe mich auf den Boden geworfen und mich versteckt.« Edholm zog einen Federkiel aus seiner Weste und fuhr flüsternd fort: »Und ich spürte den Umriss dieser Instrumente, die sich in meinen Bauch drückten. Deshalb schäme ich mich ihrer nun. Ich werde in die Geschichte eingehen als Teil des großen Instituts, das darin versagt hat, die einzigen erhaltenswürdigen Dokumente zu bewahren, welche uns zu treuen Händen anvertraut waren. Mit der Sammlung und Verwahrung wurde begonnen, als der Erste Eid noch nicht geleistet und nicht notwendig war. Durch alle Zeitalter hindurch wurde sie fortgeführt, bis heute, geschützt durch ihre Unbekanntheit – nur wenige wissen überhaupt von der Bibliothek –, durch die Banne des Ordens und durch ein Gewölbe aus starkem Fels.« Seine Lippen verzogen sich schmerzlich. »Nun ist die Bibliothek vernichtet, und nichts ist uns mehr anvertraut.«
    Tahn fand keine Worte, um den Mann zu trösten. Er verstand nur zu gut, wie sich die Schuld anfühlte, jemanden oder etwas, das einem lieb und teuer war, nicht beschützt zu haben.
    Als spürte er Tahns Mitgefühl, sagte Edholm: »Das betrifft euch natürlich alles nicht. Ich bitte um Verzeihung.« Dann fragte der Schreiber unvermittelt: »Wo geht ihr hin?«
    Widerstrebend gestand Tahn: »Nach Decalam.«
    Die Miene des Mannes hellte sich auf. »Ha! Kommt mit.«
    Der Schreiber rannte auf die Felswand zu, als wollte er einfach durch das zähe, dampfende Gestein hindurchlaufen. Er blieb stehen und stieß seinen Stab hinein. Die zähe Masse gab nur wenig nach, doch der Mann hatte eine kleine Delle hineingedrückt. Wieder stieß er mit dem Stab zu,

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