Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
werde kein zweites Mal feige sein.«
Sutter hob ergeben die Hände, um Edholm zu besänftigen.
Dieser nahm ein schmales Gefäß aus seinem Gürtel, öffnete es und stellte es vor sie hin. Ohne ein weiteres Wort tauchte er seine Feder hinein und begann wie wild auf sein Stück Pergament zu kritzeln.
Im Gestank der Berge von Ruß und verbranntem Holz, inmitten einer knöcheltiefen Ascheschicht, die an den Wänden bis auf Kniehöhe anstieg, tat Tahn, worum der Mann ihn gebeten hatte. Seit er seinen Vater verloren hatte, verstand er die manchmal unerklärlichen Bedürfnisse eines Trauernden. Der Schreiber brauchte in seiner Scham und Verzweiflung etwas zu tun, er musste handeln, und das würde Tahn ihm nicht verwehren. In der Leere, die das Feuer hinterlassen hatte, hallte das Kratzen dreier Federkiele auf Pergament laut durch den Saal.
Tahn und Sutter wechselten einen Blick, und Tahn nickte seinem Freund zu, der erneut mit den Schultern zuckte und spielerisch die Zunge hervorstreckte wie ein Kind, das sich auf eine knifflige Aufgabe konzentriert.
Der Rübenbauer war als Erster fertig, obwohl seine Seite nur halb vollgeschrieben war.
Tahn beschrieb seine ganz und schilderte zum Schluss den Gestank nach versengter Haut und Pergament, verkohltem Holz und Eisen und die Verwüstung um ihn herum.
Dann warteten Tahn und Sutter darauf, dass Edholm seine Arbeit beendete. Der Mann brauchte drei Seiten für seinen Bericht. Seine Finger bewegten sich flink und geschickt, er schrieb rasch, aber elegant. Tahn sah zu, wie Buchstaben und Symbole das Pergament füllten. Die Zeilen wurden abwechselnd von links nach rechts und dann von rechts nach links geschrieben, und das in einer Sprache, die er nicht kannte.
Schließlich legte der Schreiber seine Feder achtlos auf die Ascheschicht, blies die letzten Federstriche trocken und rollte seine Pergamentseiten eng zusammen. Er umwickelte sie mit mehreren dünnen Strängen, die Tahn für Menschenhaar hielt. Dann holte er drei unscheinbare Holzstäbe aus einer Innentasche seines Kittels. Er öffnete den ersten an einem Ende und enthüllte einen Hohlraum darin. Dort hinein stopfte er sein zusammengerolltes Pergament.
Er verschloss den Stab, an dem nun keine Fuge mehr zu erkennen war. Er griff nach Tahns und Sutters Seiten und las sie verblüffend schnell, als erfasse er alles auf einen Blick. Dann nahm er zwei neue Blätter, schrieb ihre Berichte ab und ließ sie die Worte in dieser fremden Sprache unterzeichnen. Schließlich steckte er ihre Berichte in die zwei übrigen Stäbe. Nachdem er auch diese versiegelt hatte, stand er auf und sah sich um. Ein Ausdruck tiefster Melancholie breitete sich über seine Züge. Dann warf er Tahn und Sutter einen ernsten Blick zu. »Und jetzt kommt«, sagte er knapp.
Durch den Irrgarten aus Fluren, Treppen und Sälen kehrten sie zum Eingang zurück. Unterwegs durchsuchten sie jeden einzelnen Raum der Bibliothek. Die Hoffnung, die kurz die Züge des Schreibers erhellt hatte, blitzte nicht wieder auf. Sie fanden noch mehr gekrümmte Gestalten; das Feuer hatte alles in der riesigen Bibliothek vernichtet. Das sanfte Leuchten des Bodens begleitete sie und schimmerte trüb durch gesprungenen Mörtel und geschwärzten Stein. Am Eingang angekommen, spähte der Schreiber durch das Loch, das sie in die Felswand gebohrt hatten, und vergewisserte sich, dass es auf der Lichtung still war.
»Sie haben es geschafft, Tahn«, sagte der Schreiber. Tahn wurde schlagartig klar, dass er und Sutter mit ihren richtigen Namen unterschrieben hatten. Edholm sprach sie nicht auf die enthüllte Lüge an. »Die Velle sind hierhergekommen und haben durch ihr Zerstörungswerk der Menschheit das gesammelte Wissen und die Erkenntnisse ungezählter Zeitalter geraubt.«
Edholms Worte klangen wie eine Grabinschrift. Er schob sich durch das Loch nach draußen und verließ Kumram ein letztes Mal.
Tahn und Sutter schlüpften ebenfalls hinaus ins Licht.
Sie wechselten einen vorsichtigen, wachsamen Blick, und dann trat der Schreiber vor Tahn hin und reichte ihm die Stäbe. »Gib sie niemals aus der Hand. Die verschlüsselten Worte darin kann nur verstehen, wer gelernt hat, ihnen die Wahrheit zu entlocken. Doch jene Teile, die ein Feind entziffern könnte, sind für sie, für uns , beinahe so gefährlich wie die ganze Wahrheit. Die Stäbe sind gegen Wasser geschützt«, erklärte der Schreiber, »aber gebt acht, dass ihr sie nicht zerbrecht. Ihr werdet sie nach Decalam bringen. Aber
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