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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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nächste Bewegung und umfing ihr Gesicht mit beiden Händen. »Ja. Das musst du verstehen. Wir behüten ein sehr bedeutendes Wissen. Wir müssen bereit sein, alles zu tun, was nötig ist, um es zu schützen. Das wird für dich bedeuten, dass du manchmal etwas tun musst, das dir falsch erscheint. Aber du musst verstehen«, sagte sie, um Miras Aufmerksamkeit gewiss zu sein, »dass im Dienste dieses Eides nichts falsch ist. Deshalb verlassen wir dieses Leben mit reiner Seele.«
    Mira sah ihr ins Gesicht, und ihr junger Geist begann zu begreifen. »Aber die Rechenschaft kommt doch, wenn man achtzehn Umläufe gelebt hat. Sterben dann alle?«
    »Alle Fern, ja«, antwortete Genel. »Nach Ablauf unseres achtzehnten Jahres.«
    »Wie alt bist du?«
    »Ich habe achtzehn Mittwinter gesehen, Mira. In wenigen Monaten werde ich ins nächste Leben weiterziehen.«
    Mira begann zu weinen. »Ich will nicht, dass du weggehst. Kannst du nicht bleiben? Ich bin auch ganz brav. Ich verhaue keinen von den Jungen mehr, ich verspreche es.«
    Ihre Mutter lächelte. »Solange du sie nicht ernsthaft verletzt …« Dann setzte sie ihr ernstes Gesicht auf, ihr Lehrstunden-Gesicht. »Mira, das ist unser Schicksal. Du wirst in deinem Leben noch viele Mütter haben. Und sie alle werden dich lieb haben und gut für dich sorgen. Und dann, eines Tages, wirst du für eine junge Fern sorgen. Und dann kannst du ihr sagen, dass es schon in Ordnung ist, die Jungen zu verprügeln.«
    Mira lächelte nicht. »Ich will das nicht. Ich will nur, dass du hierbleibst. Ich will keine anderen Mütter mehr. Eine ist doch genug. Nur, bis ich alt genug bin, um allein leben zu können.«
    Ihre Mutter drückte sie an sich und wiegte sie in ihren Armen. »Eines Tages wirst du vielleicht sogar ein eigenes Kind bekommen, Mira. Es ist ein großer Segen, wenn das geschieht. Vor allem bei dir, denn du gehörst zu einer Familie, die für unser Volk sehr wichtig ist. Und dann wird es dich froh machen zu wissen, dass viele tüchtige Fern gern bereit sein werden, sich um dieses Kind zu kümmern, wenn deine Zeit gekommen ist. Genau so, wie ich mich jetzt um dich kümmere.«
    Mira schüttelte den Kopf. »Aber dann wird sie mich gar nicht kennen, nur meinen Namen, den ihr jemand anders sagen wird. Und wir können nie die Soliel-Lieder zusammen singen oder Rennen gegen das Licht spielen, wie wir das immer machen, weil ich nicht mehr da sein werde, wenn sie alt genug dafür ist.«
    Die Frau, die sich ihre Mutter nannte, wollte sie wieder in den Arm nehmen. Aber Mira wollte das jetzt nicht. Sie wollte Genel nicht mehr lieb haben, weil sie sterben und Mira einer anderen Mutter geben würde. Und sie konnte nicht verstehen, warum das ein Segen sein sollte. Also rannte sie davon. Sie rannte zur Tür hinaus und in die Stadt, so schnell und so weit, wie ihre kleinen Füße sie trugen.
    Warum muss ich eine Fern sein? , dachte sie. Immer nur üben und lernen und kämpfen und … dann sterben. Was, wenn ich nur Mutter sein und auch eine bleiben will?
    Als die Erinnerung verblasste, stand Mira von ihrem Wachposten auf und rannte ins nächtliche Mal hinaus. Sie jagte so schnell dahin, wie nur die Fern mit ihrer besonderen Gabe laufen konnten. Die Nachtluft, die sie streifte, kühlte ihre Haut, doch ihre aufgewühlten Gedanken konnte sie nicht beruhigen.
    Es gab Leben und Liebe und Pflicht. Für eine Fern sollte das alles ein und dasselbe sein. Doch irgendwann in ihrer frühen Kindheit hatte der Gedanke in ihr gekeimt, dass es vielleicht nicht so sein musste. Und obwohl die verletzte Hoffnung dieses vierjährigen Mädchens niemals geheilt worden war – nicht heilen konnte, denn sie war immerhin eine Fern –, hatte sie sich mit ihrem eigenen kurzen, kinderlosen Leben abgefunden.
    Bis zum Tod ihrer Schwester.
    Mira wusste nicht, wie lange sie gelaufen war, als sie das Lager wieder erreichte. Die Hitze des Tages war abgeklungen und die Nachtluft angenehm, nicht kalt genug für ein Feuer. Der Sodale schlief und träumte unruhig. Der Sheson saß wach im Dunkeln und blickte nach Nordosten, wo sie den Verbannten zu finden hofften.
    »Du solltest ruhen«, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber auf den Boden. »Dies ist womöglich einer der wenigen Orte, zu denen die Stilletreuen uns ungern folgen werden. Ich halte Wache.«
    Vendanji schwieg eine Weile. Als er den Blick schließlich vom dunklen Horizont löste und ihr ins Gesicht sah, fragte er: »Hilft dir das Laufen zu vergessen?«
    Mira war schon zu

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