Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Tut mir leid. Ich wäre ja nicht hingegangen. Das Baby. Aber niemand konnte sie aufhalten …« Sie verstummte und weinte offen, aber lautlos vor sich hin, und er wusste, dass ihre heißen Tränen von mehr als einem Schmerz herrührten.
»Lasst uns allein«, sagte Vendanji. »Ich danke Euch für alles, was Ihr getan habt. Aber wir benötigen Eure Hilfe nicht mehr. Ich kann mich jetzt um meine Frau kümmern. Falls wir Euch für die Behandlung etwas schuldig sind, werde ich Euch bezahlen, sobald ich fertig bin. Wir wären gern eine Weile ungestört.« Er sah die Männer einen nach dem anderen an, um unmissverständlich klarzumachen, dass er sie alle meinte.
Keiner rührte sich.
Und dann trat der Heiler vor. »Sheson. Dies sind schwere Zeiten. Ich habe mich ganz der Heilung von Kranken verpflichtet. Und ich werde weiterhin über Eure Frau wachen. Ich hoffe, Ihr habt Vertrauen in mich, da ich immerhin für sie gesorgt habe, während Ihr fort wart.« Der Tadel in seiner Stimme war sanft, aber nicht zu überhören. »Doch zwei Dinge stehen fest, und es wird nicht leicht für Euch sein, das zu hören. Deshalb sind meine Kameraden bei uns.« Er wies auf die Wachen.
Vendanji stand auf. Er wusste, was der Mann gleich sagen würde, und er machte sich bereit, zu tun, was immer nötig war. Die Ligaten zogen ihre Schwerter. Hinter sich hörte er Illenia flüstern: »Nein.« Doch er konnte ihre Augen nicht sehen und wusste deshalb nicht, wen sie damit meinte. Es spielte auch keine Rolle. Für Vendanji gab es nur einen akzeptablen Weg: Er würde seine Frau heilen, für die Sicherheit seines ungeborenen Kindes sorgen, und dann würden sie sich eine neue Heimat suchen, außerhalb des Reiches Vohnce, wo er nie wieder einen Ligaten sehen musste.
Der Heiler blickte völlig gelassen zu ihm auf. »Eure Frau, so krank sie auch sein mag, hat gegen das Gesetz verstoßen. Wenn sie genesen ist, muss die Angelegenheit vor Gericht gebracht werden. Und trotz Eurer verständlichen Sorge, Sheson, müsst Ihr ihre Pflege mir überlassen. Es ist Euch nicht erlaubt, primitive Rituale gleich welcher Art zu praktizieren. Und um die Wahrheit zu sagen, glaube ich, dass solcher Unsinn nur gefährlich für sie wäre. Das Beste ist, Ihr geht jetzt nach Hause und ruht Euch aus. Offensichtlich wart Ihr eine ganze Weile auf Reisen.«
Vendanji starrte in die Augen hinter den Brillengläsern des Mannes. »Kein Mensch und keine Armee wird sich zwischen mich und meine Familie stellen, Ligat. Ich bin Euch dankbar für die Hilfe, die Ihr meiner Frau geleistet habt. Aber damit ist jetzt Schluss. Was ich ab sofort für meine Frau tue, ist nicht mehr Eure Angelegenheit.«
Dann ging plötzlich alles ganz schnell.
»Nein«, schrie Illenia auf.
Diesmal hörte Vendanji an ihrer Stimme, was sie meinte. Der Heiler offensichtlich auch. Irgendetwas war mit dem Baby nicht in Ordnung. Der Mann schob sich an Vendanji vorbei und rief: »Schafft ihn hinaus!« Augenblicklich packten die vier Wachen Vendanji an Armen und Beinen und stießen ihn zur Tür.
Ein angstvolles Stöhnen kam von Illenias geschwollenen Lippen. »Bitte nicht. Vendanji. Vendanji.« Sie konnte nicht laut schreien, doch er hörte ihren heiseren Ruf und kämpfte nach Leibeskräften, um sich den Wachen zu entwinden oder wenigstens die Hände frei zu bekommen, damit er dem Allwillen gebieten und sich aus den schmutzigen Fingern dieser Ligaten befreien konnte. Doch er war einfach nicht stark genug, um gegen vier Wachen etwas auszurichten.
Vendanji bäumte sich auf, trat um sich und schrie um Hilfe, um Erbarmen. Er konnte seine Frau und sein Kind retten, wenn er nur freikäme. »Helft mir! Nein. Illenia! Illenia!«
Als er aus dem Raum gezerrt wurde, erhaschte er einen letzten Blick auf seine Frau. Da lag sie mit zerschundenem, tränennassem Gesicht, die Augen vor Schmerz und Kummer fest zusammengekniffen, und streckte einen verbundenen Arm nach ihm aus.
Er kämpfte, bis seine Kräfte erlahmten. Er schrie, bis seine Stimme klang wie das Rascheln von Schilf im Wind. Und dann bekam er einen Schlag auf den Hinterkopf, und alles wurde schwarz.
Illenia starb.
Ihr Kind starb.
Als Vendanji zum bitteren Himmel über dem Mal aufblickte, verfolgte ihn wieder einmal derselbe Gedanke: Wenn er damals schon die Erfahrung gehabt hätte, die er jetzt besaß, wenn er bereit gewesen wäre, in jenen wenigen Augenblicken an ihrem Lager dem Allwillen zu gebieten … dann hätte er seine Frau heilen und ihr Kind retten
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