Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
eingeschlagenes Päckchen und ging schnurstracks zur Tür.
»Trost und Frieden, meine Freunde«, sagte Milear zu Tahn und seinen Gefährten. Mira legte ihm im Vorbeigehen eine Hand auf die Schulter. Die anderen folgten dem Sheson eilig auf die Straße vor dem Mietstall.
Vendanji führte sie nach Norden und schaute weder nach links noch nach rechts. Der Geruch nach nassem Stroh mischte sich mit dem leicht fauligen Gestank der matschigen Straße.
Das Granitene Haus glänzte mit einer fünf Stockwerke hohen Granitfassade. In größeren Abständen waren Rinnen in den Stein gemeißelt, was seltsam gestreift aussah. Eine halb kreisförmige Treppe führte von der schlammigen, strohbedeck ten Straße empor zu einer zweiflügeligen Tür. Von Karrenrädern und Hufen verspritzter Matsch klebte drei Fuß hoch an der Granitwand.
»Nehmt die Kapuzen ab«, wies Vendanji sie an. »Nichts macht die Leute so neugierig wie der Versuch, etwas zu verbergen, das niemand sehen soll. Gebt euch als müde Reisende.«
Das würde keinem von ihnen schwerfallen.
Der Lenker schob den linken Türflügel auf und trat ein. Tahn holte tief Luft und ging hinter Mira durch die Tür.
Hüfthohe Steinmauern teilten den Raum in mindestens zwanzig kleinere Bereiche. Zwei davon boten langen Tafeln für größere Festessen Platz. Rechts saßen Männer und Frauen an Tischen nahe der Wand. In zwei Fluren auf der Rückseite des riesigen Raumes drängten sich Kellnerinnen und junge Burschen mit beladenen Tellern. Der freie Bereich ganz links war für Wettkämpfe gedacht, wie Kreidelinien auf Boden und Wänden zeigten.
Vendanji blieb nicht stehen, sondern suchte auf der rechten Seite einen Tisch, der groß genug für alle war. Kaum hatten sie Platz genommen, eilte eine stämmige Frau herbei.
»Zimmer oder Essen?«, fragte sie barsch. Eine fleischige Faust hatte sie in die Hüfte gestemmt, in der andere hielt sie einen schmuddeligen Lumpen.
»Beides«, antwortete Vendanji, ohne die Frau anzusehen. Tahn fiel auf, dass der Sheson die Frau nicht mit dem höflichen »Anais« angeredet hatte. »Und wir müssen Ulee sprechen.«
»Ulee hat zu tun, und Lamm ist aus.« Sie begann den Tisch vor Vendanji abzuwischen. Ihr tief und rechteckig ausgeschnittenes Mieder vermochte den üppigen Busen kaum zu halten.
»Er wird uns sprechen wollen«, sagte Vendanji. Sein Tonfall drohte unangenehme Folgen an, falls sie widersprechen sollte.
»Schon gut, ich sage ihm Bescheid«, entgegnete sie mit nörgelnder Stimme. »Und, was darf’s sein?«
»Ochseneintopf für alle und eine Flasche Abendwein.«
Die Frau warf verächtlich den Kopf zurück und zottelte in Richtung Küche davon.
Tahn blickte sich um. Große Teppiche hingen an den Wänden, manche mit symmetrischen Mustern in Kobaltblau und Scharlachrot. In der hintersten rechten Ecke befand sich ein kleines Podium mit ein paar Stühlen, hinter denen Instrumente an der Wand lehnten. Daneben schwatzten und lachten zwei Männer und zwei Frauen in leuchtend gelben und roten Überkleidern – offensichtlich die Unterhaltung des heutigen Abends.
Am Tisch wurde wenig gesprochen. Mira wechselte hin und wieder ein paar Worte mit Vendanji, Braethen war erneut in seinem Buch versunken. Sutter verrenkte sich den Hals in den unmöglichsten Winkeln, um alles zu sehen, was der Saal zu bieten hatte. Wendras Augen waren geschlossen, als schliefe sie schon fast.
Ein Mann mit kastanienbraunem Haar und breiten Schultern schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch zu ihnen herüber. Er trug ein weites weißes Hemd mit zwei dünnen blauen Streifen auf der Brust, und die hochgerollten Ärmel enthüllten dicht behaarte Arme. Er hatte einen kräftigen Bartschatten und tief liegende Augen. Beiläufig schlenderte er durch den Saal und nickte hier und da jemandem zur Begrüßung zu. Als er sie schließlich erreichte, ließ er sich neben Vendanji nieder.
»Guten Abend, Freunde. Was kann ich für euch tun?«
»Guten Abend. Ihr seid Ulee?«, fragte Vendanji.
»Seit ich mich auf die Welt gequetscht habe«, antwortete der Mann lächelnd.
Vendanji öffnete den Mund, als auf einmal vier Männer in dunklen, rostroten Umhängen mit einem Abzeichen darauf den Tisch umstellten: die Liga der Edukation. Sie waren mit Spießen und Schwertern bewaffnet.
»Meine Herren«, sprach Vendanji sie an. »Was kann ich für euch tun?«
»Du wirst uns begleiten«, entgegnete der größte der Männer. Über seine linke Schulter war eine gelbe Kordel drapiert.
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