Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
enttäuschter Erwartung. Manche verhöhnten ihn, andere brüllten vor Verwirrung. Wendra bemerkte, dass der Ton tiefer wurde und sich zu etwas weniger Bewunderndem verschob. Heftige Gesten feuerten Penit an, das Rennen zu beenden, weiterzulaufen. Ein paar Leute schüttelten verärgert die Köpfe. Wendra war sich sicher, dass so etwas in der ganzen Geschichte des Lesherlaufs noch nicht passiert war.
Penit hätte die verbliebene Strecke in langsamem Trab laufen und das Rennen dennoch gewinnen können. Stattdessen drehte er sich um und sah zu, wie Dwayn angerannt kam. Sein Freund sah ihn fragend an. Penit nickte Dwayn mit zufriedener, beruhigender Miene zu, und der Junge rannte nach einem kurzen Blick an ihm vorüber.
Kurz darauf durchbrach Dwayn das Band. Siegesgeheul folgte, und der Junge wurde hochgehoben und bei denen, die sich auf den Straßen versammelt hatten, als nächster Kindermund des Hohen Rats gepriesen. Andere Kinder sausten an Penit vorbei, um das Rennen um der Ehre willen zu beenden. Manche wurden langsamer, blieben stehen und wichen von der Strecke ab, um zu ihren Eltern zurückzukehren.
Die Menge strömte auf die Straße, und viele schienen in ihrer Hast, Dwayn zu gratulieren, Penit ganz zu vergessen. Ein paar Leute spazierten nahe an ihn heran und beäugten ihn verwundert. Wendra kämpfte sich durch die Menschenwand zu Penit und hörte harsche, abfällige Bemerkungen, die dem Kind galten, bevor sie den Jungen an sich zog und die Nörgler mit einem vernichtenden Blick zum Schweigen brachte. Shanbe bahnte ihnen einen Weg zurück zur Wand neben dem Tor, wo Wendra sich hinkniete und Penit für mehrere Augenblicke in den Arm nahm, bevor ihr auffiel, dass er weder weinte noch sonst schlecht gelaunt wirkte.
Sie zog sich zurück und musterte ihn argwöhnisch. »Penit, warum bist du stehen geblieben?«
Er spähte über ihre Schulter, vermutlich zu Dwayn. Sein Gesicht war ein wahres Bild der Befriedigung und verzog sich zu einem Lächeln.
Wendra drehte sich um, um Penits Blick zu folgen, und sah, dass der Rennleiter mit dem Stab in der Hand auf sie zumarschierte. Hinter ihm umstellte eine Gruppe von Aufsehern in den Farben der Stadt Dwayn und bildete eine wachsame Eskorte. Wendra dachte erst, dass der Mann mit raschem, zielstrebigem Schritt an ihnen vorbeigehen würde, aber er blieb unvermittelt neben ihnen stehen.
»Ihr werdet mitkommen, alle drei«, sagte er und wies auf Wendra und Shanbe, während er den Blick unverwandt auf Penit gerichtet hielt. »Ich werde nicht zulassen, dass es einen Disput über mein Rennen gibt. Die Regentin und ihr Rat werden sich sowohl Euren Bericht als auch den des jungen Dwayn anhören und dann ihre Meinung darüber kundtun.«
Er blieb lange genug stehen, um seinen Mitarbeitern mit einer Stabbewegung zu bedeuten, wen er gemeint hatte, und ging dann schneidig davon, Richtung Tor. Die Männer im leuchtenden Scharlachrot von Decalam schlossen sie in den Kreis mit ein, den sie um Dwayn und einen verschlagen wirkenden Mann gebildet hatten, den Wendra zu erkennen meinte, ohne einordnen zu können, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Zusammen gingen die fünf durchs Innere Tor und gelangten auf das glatte Pflaster des Hofs des Solath Mahnus. Ihre Absätze klapperten laut auf den Steinen. Lange Schieferplatten waren so sauber aneinandergefügt worden, dass sie fast nahtlos miteinander abschlossen. Bänke aus dunklem Marmor säumten das Gelände. Hier und da saßen Männer in Rüstungen und Frauen in kostbaren Kleidern darauf. Pflanzkübel standen beiderseits jeder Steinbank. Die beschnittenen Bäumchen darin boten wenig Schatten, sondern bildeten nur steifen Zierrat.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofs öffnete sich im Hügel ein Torbogen, der breit genug war, zwei Kutschen nebeneinander Platz zu bieten. Darüber erhoben sich die ausgedehnten Höfe und Hallen des Solath Mahnus. Alle Dächer wiesen zinnenbewehrte Eckpfeiler auf, die eher schmückend als nützlich waren. In die Steine der Außenmauern waren verschiedene Wappen eingemeißelt, die für Häuser und Familien standen.
Der Ordner führte Wendra, Shanbe und Penit in einen Tunnel, der von Öllampen hell erleuchtet war. Mehrere Quergänge zweigten im rechten Winkel davon ab, bevor sie schließlich eine breite Treppe erreichten, die von vier Männern mit Hellebarden bewacht wurde. Der kleinliche Stabträger machte sich nicht einmal die Mühe, den Wachen zuzunicken, sondern eilte mit kraftvollen, kurzen Schritten
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