Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
fanden. Sie konnte Penit immer noch sehen, dessen Kopf im Takt schneller Schritte wippte. Er rannte inmitten des dichtgedrängten Feldes. Die gleiche Erregung und Vorfreude, die immer mit dem Kottenrein einhergingen, durchliefen Wendra, und sie vergaß ihre Bedenken und feuerte Penit an. Die Rufe und der Jubel der Massen übertönten Wendras eigene, aber sie winkte Penits Rücken nach, als die ersten Kinder um eine Ecke der Mauer bogen.
Als alle Läufer verschwunden waren, blickte Wendra zu Shanbe auf, der ihr ein sonderbares Lächeln schenkte. »Es packt einen richtig, nicht wahr?«
Ein wenig verlegen nickte Wendra und wandte sich in die andere Richtung, aus der die Kinder zurückkehren würden. Die Menge beruhigte sich, und das Jauchzen verklang zu Gemurmel und überschäumender Erwartung. Männer und Frauen warfen weiter Konfetti und Luftschlangen in die Luft, während die Menge die Rückkehr der Kinder aus den Straßen hinter der Umfassungsmauer des Solath Mahnus erwartete. In der Ferne pflanzte sich der Jubel der Zuschauer in einer wandernden Welle fort, als die Läufer auf der Strecke an ihnen vorbeikamen. Der Lärm wurde immer schwächer, als das Rennen sich der Rückseite des Hügels näherte.
»Was werdet Ihr tun, wenn der Junge gewinnt?«, fragte Shanbe.
Wendra zuckte zusammen, als die Frage ihr Bewusstsein durchdrang. »Er wird nicht gewinnen«, antwortete sie und war angesichts dieser Einschätzung über sich selbst enttäuscht. »Er ist schnell, aber die älteren Jungen werden den Sieg davontragen.«
»Den Lesherlauf gewinnt der Läufer mit dem größten Herzen«, wandte Shanbe ein. »Es gibt Geschichten über ein Mädchen, das drei Jahre jünger war als der größte, stärkste Junge. Und doch fand sie eine Geschwindigkeit in ihren Beinen, die sie selbst nicht für möglich gehalten hätte.« Er zog die Augenbrauen hoch, um seine Aussage zu unterstreichen. »Der Lauf entscheidet darüber, wer den Sitz erhält, Wendra, nicht das Kind. Es ist ein Rennen, ja, aber neben allem, was das Kind selbst leisten kann, hilft noch etwas anderes dem Sieger, das Band zu erreichen.«
»Es klingt wie eine Legende, wie die vom Weißen Hirsch oder der Armentrommel.« Wendra stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte in die Richtung, aus der die Kinder kommen würden.
»Legenden werden uns nicht ohne Grund überliefert, Anais«, sagte Shanbe. »Wie die Legenden über Lieder, die mehr bewirken, als nur zu unterhalten.«
Wendra warf ihm einen vernichtenden Blick zu, aber der Ta’Opin zuckte angesichts ihrer finsteren Miene nicht einmal mit der Wimper.
Weit entfernt begann der Jubel der Menge einen Bogen zu ihnen zurück zu schlagen. Als das Tosen näher kam, begannen die Leute um Wendra und Shanbe herum von einem Fuß auf den anderen zu treten und zu rufen. Die Aufregung über das Rennen wurde vor ihm hergetragen wie Blätter, die sich in einem Windhauch regten, der dem Sturm vorausging.
Wenige Augenblicke später bog eine Kindergruppe um die Ecke und stürmte über den langen Platz. Zu zwölft rannten sie mit pumpenden Armen und im Wind ihrer eigenen Geschwindigkeit flatternden Haaren und flogen über das Kopfsteinpflaster der Straße, auf das ihre Füße in einem unglaublichen Rhythmus auftrafen. Hände und Arme wurden zur Anfeuerung hochgereckt, als die Läufer vorbeirasten. Zwanzig Schritt hinter ihnen bog eine zweite Schar Kinder um die Ecke und ließ den Jubel der Zuschauer abermals anschwellen. Hinter dieser Teilnehmergruppe kamen weitere Kinder in weit auseinandergezogenen Formationen. Jeder einzelne Läufer ließ Füße, Knie und Arme mit aller Kraft arbeiten.
Die erste Gruppe kam klarer in Sicht. Wendra stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und musterte die Gesichter. Am Ende der Schar mühten sich Penit und Dwayn ab, mit den vorderen Läufern Schritt zu halten. Schweiß strömte ihnen über Wangen und Schläfen und ließ ihnen die Haare am Kopf kleben. Zwei Jungen rannten an der Spitze der führenden Gruppe, liefen mühelos dahin und schienen noch nicht von ihrer Anstrengung erschöpft zu sein. Eine Handvoll Mädchen bildete die Mitte der Schar; Pferdeschwänze hüpften bei jedem langen Schritt hin und her. Ein paar weitere Jungen liefen rechts und links von den Mädchen und beäugten ihre Gegenstücke, während sie die Beine vorschnellen ließen. Penit und Dwayn rannten im hinteren Drittel der Gruppe. Ihre Schritte waren kürzer und flinker als die langen, anmutigen Sprünge der anderen.
Wendra
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