Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
Vom Netzwerk:
schrie Penits Namen, aber sie konnte ihre eigene Stimme kaum hören. Inmitten des ohrenbetäubenden Lärms fragte sie sich plötzlich, ob auch einem ungehörten Lied Kraft innewohnte, aber der Gedanke entfiel ihrem Verstand wieder, weil sie Penit so überschwänglich anfeuerte. Die bunten Konfettistücke gingen wie ein Schneesturm auf die Straße nieder und wirbelten um die Leiber der vorbeilaufenden Kinder. Ein paar kleine Fetzen blieben am Schweiß in ihren Gesichtern und auf ihren Unterarmen kleben. Pfiffe übertönten das Getöse, Klappern und Rasseln schlugen Lärm, und ein paar Feiernde stießen selbst ins Horn.
    Dann bog die Führungsgruppe ab und folgte der Strecke in eine enge Seitenstraße. Auch dort war der Laufweg von einer Menschenmenge gesäumt, und die Leute stießen einander beiseite, um einen Blick auf die Kinder zu erhaschen, als die ersten Läufer an ihnen vorbeischossen. Jetzt erhoben sich unzählige Stimmen rings um Wendra, während die ganze Zeit über Läufer in einer langen Prozession vorüberzogen. Das Getöse hallte von den Steingebäuden wider, und Wendra malte sich aus, dass es die Stimme von Decalam war, eine Fülle von Tonhöhen und Worten, die sich zu einer einzigen gewaltigen Stimme vereinten.
    Die letzten Läufer kamen an ihnen vorbei und bogen in die Straße links von Wendra ab, während es auf dem Rückweg schon vor Aufregung über die Führenden laut zu werden begann. Wendra fasste sich ans Mieder und versuchte, ihr Herz zu zwingen, ruhiger zu schlagen, aber ohne Erfolg. Jedes Pochen in ihrer Brust fühlte sich an, als würde ein Hammer niedersausen.
    Die bisherige Inbrunst der Menge war gegen das, was jetzt kam, nichts gewesen. Jeder einzelne Zuschauer heulte und jubelte aus voller Kehle. Zusammengenommen fühlte es sich an, als müsste es die Luft gleich zerreißen oder als hätte die Dichte des Lärms Gewicht und Substanz genug, um mit Händen zu greifen zu sein. Die gewaltige Lautstärke presste gegen Wendras Augen und ließ ihr jedes einzelne Haar am Körper zu Berge stehen. Sie fühlte sich, als wäre sie in einen winterlichen Fluss gestürzt und würde zugleich am Bratspieß geröstet, aber beides war nicht schmerzhaft. Stattdessen hatte sie solchen Auftrieb, dass es ihr vorkam, als hätte sie nur die Arme heben müssen, um zu schweben.
    Dann erschien Penit auf dem Rückweg.
    Seine Schultern waren vornübergebeugt, und seine Arme arbeiteten vor schierer Entschlossenheit. Er kam zehn Schritte vor Dwayn aus dem Gässchen hervorgeschossen. Mittlerweile hatte er einen stetigen Schritt gefunden: Seine Beine trommelten wie die eines Rennpferds in einem langgezogenen, kraftvollen Rhythmus. Seine Füße huschten über die Pflastersteine, ohne dass seine Fersen je den Boden berührt hätten. Tränen des Stolzes stiegen Wendra in die Augen, als sie ihre Stimme dem unglaublichen Chor der jubelnden Festbesucher hinzufügte.
    Penit rannte über den breiten Platz und schien mit jedem Schritt schneller zu werden. Die Menge kannte ihren Sieger und wartete in begeisterter Vorfreude darauf, dass er das Band erreichen würde, das die Männer mit den Stäben nun wieder erhoben hatten. Penit lief zwischen den Ufern der Zuschauer, die ihn bereits zum Gewinner ausriefen. Ihre hektische Energie stand im Gegensatz zu der glatten, eleganten Geschwindigkeit, mit der Penit über den offenen Platz auf die Ziellinie zulief. Er kam näher, und Wendra konnte den ruhigen, aber entschlossenen Gesichtsausdruck des Jungen erkennen – den gleichen, den sie bei ihm gesehen hatte, als er aus der Höhle aufgebrochen war, um Hilfe für sie zu suchen. Sie kostete seinen bevorstehenden Triumph und alles, was geschehen war, um ihn sicher nach Decalam zu bringen, voll aus. Vergessen waren ihre Befürchtungen, was ein Sieg bedeuten mochte. Sie hielt den Atem an und gab sich der Freude hin, die ihr Herz durchströmte.
    Plötzlich huschte ein seltsamer Ausdruck über Penits Züge, eine Art nachdenklicher Besorgnis. Er warf einen Blick über die Schulter zu Dwayn, der nun zwanzig Schritt hinter ihm war, während der Rest der Führungsgruppe gerade erst aus der Gasse hervorkam. Seine Beine trugen ihn weiter vorwärts, aber Wendra glaubte, seinen Augen eine Erkenntnis anzusehen, die noch nicht bis zu seinen Füßen durchgedrungen war.
    Fünfzehn Schritt vor dem Band blieb Penit stehen.

17
    Sieger und Weisheit
    P enit kam schlitternd zum Stehen, atmete keuchend und betrachtete das Band vor ihm.
    Die Menge tobte vor

Weitere Kostenlose Bücher