Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
zur Decke und ließen Licht ins Zimmer fallen. Wendra konnte sich nicht erinnern, vom Hof aus Fenster gesehen zu haben. In jeder Ecke gab es eine Feuerstelle, um die herum hochlehnige Stühle und niedrige Bänke angeordnet waren. Auf einem Tisch vor den Kaminen lagen Bücher, manche davon aufgeschlagen, als seien sie mitten im Lesen liegen gelassen worden. In die Rückwand der Kanzlei war ein Messingrelief eingelassen. Es zeigte einen König im vollen Ornat, der seine Krone abnahm. Inschriften funkelten darauf im Licht. Darunter saß auf einer steinernen Estrade eine elegante ältere Frau auf einem großen, gepolsterten Lehnstuhl – die Regentin, wie Wendra annahm.
Bei ihrem Anblick verspürte Wendra plötzlich den Drang, niederzuknien. Die Frau hatte einen gebieterischen Blick und verlieh Wendra das Gefühl, sich in der Gegenwart echter Macht zu befinden. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich einmal im selben Zimmer befinden würde wie solch eine Frau. Ihr Herz schlug stärker, als bestünde zwischen ihnen eine Art Schwesternschaft.
In der Mitte des Saals stand ein großer, kreisrunder Tisch. Gegenüber von Wendra hatte der Tisch eine Lücke, so dass man die Fläche innerhalb des Rings, den er bildete, betreten konnte. Am äußeren Rand des Tisches saßen in unregelmäßigen Abständen Männer und Frauen, getrennt von leeren Stühlen. Als die Türen sich hinter ihnen schlossen, wurde Wendra auf einen hageren Mann aufmerksam, der ganz in Schwarz gekleidet war und auf der Fläche innerhalb des Tischrings auf und ab ging. Er spazierte lässig in einem kleineren Kreis umher und sah abwechselnd alle Leute an, die um ihn herum saßen, während er in entspanntem, selbstbewusstem Ton zu ihnen sprach.
»Die Einberufung des Lesherlaufs durch unsere Regentin ist statthaft, während die Gerüchte, die die Meinung des gemeinen Mannes auf der Straße prägen, auf die Einfälle leerer Mägen zurückgehen, die es auf einen Sündenbock abgesehen haben, den sie ihrer Unzufriedenheit zum Opfer bringen können!« Er breitete die Arme mit nach oben gewandten Handflächen aus, um das Bild, das er beschrieb, zu unterstreichen. »Jedenfalls kann man weder ihr noch dem Volk einen Vorwurf machen, meine Freunde. Es ist nur recht und billig, zu einer Übereinkunft zu gelangen, und die Wiedervereinigung des Hohen Rats könnte genau das bewirken. Und wenn Männer und Frauen lustlos über die Märkte und durch ihre Heimatstadt schlendern, ist Führungsstärke gefragt. Aber was die angebliche Stille im Land betrifft« – er zuckte mit den Schultern und warf die Hände in die Luft –, »hat auch nur einer von Euch sie gesehen? Über welche Beweise dafür verfügen wir? Unser verehrter Freund Artixan tritt für diesen Glauben ein«, fuhr der Sprecher fort und deutete auf einen weißbärtigen Mann, der würdevoll dasaß, obwohl die Last des Alters seine Schultern niederdrückte. »Aber seine Leute sind sich nicht zu schade, gegen die Gesetze zu verstoßen.«
Artixan erhob sich halb. »Um das Kind eines Eurer eigenen Männer zu retten, Aszendent Staned. Vergessen wir nicht, wer in den Genuss dieser Großzügigkeit gekommen ist.«
Wendra sah Artixan an. Er war Sheson, das spürte sie.
»Es spielt keine Rolle, wer gerettet wurde, mein Guter, überhaupt keine. Es hätte die Regentin selbst sein können – es wäre dennoch ein Verstoß gegen das Gesetz gewesen. Ich habe nicht um Milde zugunsten der Liga geschachert, als einer meiner eigenen Männer verurteilt wurde! Und ich sage Euch jetzt noch einmal, was ich Euch bereits erläutert habe: Der Bogenschütze ist kein Mitglied der Liga. Er mag dem, was unsere Sache adelt, wohlgesinnt gegenüberstehen, aber er hat aus eigenem Antrieb gehandelt, darauf könnt Ihr Gift nehmen.«
»Unnötig, Roth, Eure Worte sind schon giftig genug«, sagte Artixan. Die anderen am Tisch lachten höflich.
Kurz huschte ein unwilliger Ausdruck über das Gesicht des Aszendenten, bevor er wieder eine diplomatische Miene aufsetzte. »Es ist kein Wunder, dass die Regentin Euch im Rat behält, Artixan; kein Herrscher könnte je hoffen, sich einen besseren Spaßmacher zu halten.«
»Und Ihr seid mein rechtmäßiger Erbe, Eure Führerschaft … Euer Geschwätz ist ein nimmer endender Witz«, konterte Artixan. Das Lächeln des Sheson erstarb. »Und doch werde ich unserem Disput ein Ende setzen. Gerücht hin oder her, viele verzweifeln an ihrer Lage, und ihrer Mutlosigkeit wohnt ein Dämon inne. Lasst ihn uns ausreißen, was
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