Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
zusammengenommen, war irgendwie Bedrohung und Verheißung zugleich, Verdammung und Freiheit in einem Atemzug. Er formte die beiden Wörter mit dem Mund, wollte sie aber nicht laut aussprechen. Allein dass er sie gelesen hatte, hatte ihn der Sprache beraubt.
Was könnte man wohl damit anrichten, dass man sie tatsächlich laut ausspricht?
Bevor er weiterging, wusste Tahn bereits im Herzen, dass diese Bezeichnung auf der Karte für den Ort stand, den sie suchten, den Ort, zu dem Vendanji schon von der Feuerstelle in Hambleys Taverne aus aufgebrochen war. Bei jedem Schritt auf dem Weg hierher hatte der Sheson gewiss mehr über das gewusst, was Tahn erwartete, als er je verraten hatte. Diese Ecke der Landkarte blieb ihm ein Rätsel, ein ferner Ort, der eher ein Mythos als Wirklichkeit war. Aber die beiden Wörter, Rudierd Tillinghast , brannten sich ihm in Gedanken und Herz so unauslöschlich ein, als wären sie schon immer da gewesen. Und plötzlich glaubte er, dass er sich auch schon immer vor ihnen gefürchtet hatte.
Wäre ich mitgekommen, wenn ich das gewusst hätte? Vielleicht hat Vendanji recht daran getan, Geheimnisse zu haben.
Die Fern hatte sich nach links gewandt. Sie folgten ihr eine weitere Treppe hinunter, deren längliche Stufen sie in ein tiefer gelegenes Stockwerk führten. Als sie den Rand des Zwischengeschosses erreichten, sah Tahn von dort auf eine kleine Versammlung von Fern hinab, die in von einem Mittelgang durchbrochenen Reihen saßen. Vor ihnen stand ein junger Mann, der einen kurzen Hirtenstab in der Hand hielt, den er nachdenklich streichelte.
Lichtträger standen reglos um die Gruppe herum. Die Stangen, von denen die Laternen hingen, waren nur wenig höher als ihre Besitzer. Die leuchtenden Lampen wirkten in der gewaltigen Halle klein. Ihr Vorhandensein erschien Tahn eher symbolisch, als dass es wirklich viel Licht gespendet hätte. Er erinnerte sich daran, wie Mira nachts mit leuchtenden grauen Augen Wache gehalten und alles in sich aufgenommen hatte, was die Dunkelheit zu verbergen suchte. Es hatte nie so gewirkt, als ob sie Licht benötigte, um in die Nacht zu spähen. Wenn dem so war, dann konnte er sich vorstellen, dass die Fern hier über die gleiche Fähigkeit verfügten. Vielleicht waren die Laternen also für Miras Freunde gedacht – ein Willkommensgruß.
Keiner der Fern sah zu ihnen hoch, als sie die Treppe hinabstiegen. Hohl hallten ihre Schritte im Saal wider und kündigten so ihr Kommen an. Noch immer wandte sich kein einziger Kopf, um sie zu begrüßen. Am Fuß der Treppe hob Mira die Hand, um sie aufzufordern, haltzumachen, bevor sie zu dem Mann hinüberging, der vor den Versammelten stand.
Einen Schritt von ihm entfernt blieb sie stehen und neigte den Kopf. Sie hob ihn erst wieder, nachdem der Mann sanft ihre Schulter mit dem Hirtenstab berührt hatte. Irgendetwas an der Versammlung kam Tahn seltsam vor. Vielleicht war es die Demut der Gebärden, derer sich die Fern bedienten, um sich miteinander zu verständigen, und die nichts mit dem gemein hatten, was er bisher bei Miras Umgang mit anderen erlebt hatte, seit sie nach Helligtal gekommen war. Aber daran allein lag es nicht. Da war noch etwas.
Mira sprach mit dem Mann, ohne dass Tahn ihre Worte hätte hören können. Dann trat er zurück, und Vendanji ging auf ihn zu. Sein hochgewachsener Körper wirkte selbst in den Tiefen des großen Saals imposant. Er neigte ehrerbietig den Kopf vor dem Mann, der rasch mit dem Hirtenstab Vendanjis Schulter berührte. Aus der Schnelligkeit der Geste schien Respekt zu sprechen. Vendanji sah nur einen Moment lang auf, bevor er sich dem Rest der Versammlung zuwandte. Er sagte nicht sofort etwas, sondern ließ den Blick zunächst über jeden einzelnen Fern schweifen.
Tahn wurde bewusst, was ihm so seltsam vorgekommen war. Als er dem Blick des Sheson folgte, sah er, dass keiner der Fern älter als Sutter oder er selbst sein konnte. Als er genauer hinschaute, stellte er fest, dass einige sogar mehrere Jahre jünger zu sein schienen. Vielen war eine Lebenserfahrung anzusehen, die ihren Gesichtern einen Ausdruck verlieh, der um Jahre älter als ihre Körper wirkte. Kein einziger Fern zeigte die Unschuld eines Melura, obwohl jeder zugleich mit glatter Stirn dasaß, als würde er sich nie Sorgen machen. Und auf seine eigene Art war jeder so schön wie Mira, vielleicht, wie Tahn dachte, aufgrund der Jugend der Fern oder vielleicht, weil sie alle so selbstsicher zu sein schienen.
Der
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