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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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ihn eingedrungen?
    Es überstieg seine Fähigkeiten, das zu verstehen, und er war zu nichts anderem mehr in der Lage, als leer in den Abgrund zu starren, der vor ihm wogte.
    Nachdem er einen Augenblick lang nachgedacht hatte, riss Tahn mehrere lange Zweige von einem nahen Busch ab. Er verflocht sie zu einem flachen, behelfsmäßigen Korb. Als er fertig war, stand er schwankend auf und trug, auf seinen Bogen gestützt, den Korb zum Fuße des Nebelbaums. Dort ließ er sich wieder auf die Knie sinken und stellte den Korb nahe an den Stamm zwischen zwei große Wurzeln. Dann suchte Tahn nach einem kleinen Stein. Als er einen fand, ließ er ihn in den Korb fallen. »Einen für jedes Mal, wenn ich den Tillinghast besuche, mein Freund.« Irgendwie glaubte er, dass er zurückkehren würde.
    Tahn hob den abgefallenen Nebelholzast auf, der neben seinem Korb lag, und streifte mit einiger Mühe das tote Laub davon ab. Er stützte sich auf den Ast, um das Gleichgewicht zu halten, richtete sich auf und begann, an den Rand der Klippe zu schlurfen. Er schämte sich und war zornig, dass seinetwegen so viel verloren gegangen war. So oder so, er wollte nicht, dass all diese Opfer unbelohnt blieben.
    Als er in Zephoras Nähe kam, hielt er inne. Mit plötzlicher Wut begann er, den Leichnam mit seinem behelfsmäßigen Gehstock auf die Kante zuzurollen. Obwohl der Draethmorte groß war, wog er sehr wenig. Als Tahn die Leiche umdrehte, fiel eine Silberkette mit einem Anhänger auf Zephoras dünnen, bleichen Hals. Bei jeder Umdrehung schwang sie weiter herum, bis Tahn innehielt, um das Schmuckstück in Augenschein zu nehmen.
    Er drehte es mithilfe seines Messers um und versuchte, die Gestaltung zu verstehen. Ein einzelner Silberring hing von der Kette, und in seiner Mitte befand sich ein kleines Plättchen, das eine Art Zielscheibe bildete. Aber nichts verband das Innenteil mit dem äußeren Ring. Tahn fuhr mit dem Dolch durch den Freiraum, der die Mittelscheibe umgab – die Waffe glitt hindurch, ohne hängen zu bleiben. Als er auf die Scheibe selbst klopfte, rührte sie sich nicht.
    Tahn nahm dem toten Draethmorte die Halskette ab. Im Aufstehen stieß er den Stilletreuen in den Abgrund. Er fiel lautlos, stürzte von der Klippe und dann binnen eines Atemzugs außer Sicht. Der Nebel umhüllte ihn so vollständig wie jedes andere Geheimnis.
    Tahn drehte sich auf dem Absatz um und begann sich langsam vom Tillinghast zu entfernen. Unmittelbar hinter der Felswand drang das Geräusch von Laub, das unter Schritten raschelte, wie aus großer Entfernung zu ihm. Er blieb stehen und war sich unsicher, ob er vielleicht nur gehört hatte, wie sich die Überreste des Nebelwalds in einer leichten Brise regten. Das Rascheln wurde lauter.
    Hoffnung keimte in seiner Brust auf, und er begann, den Weg zurückzueilen, den Mira und er gekommen waren. »Wendra, Sutter … Mira?«, rief er im Laufen und stolperte oft, da seine Beine unter ihm nachzugeben drohten. Jenseits der Wiese ertönten zur Antwort Stimmen. Er konnte ihre Worte nicht verstehen, aber was das zu bedeuten hatte, war klar genug: Wenigstens einige von ihnen hatten überlebt!
    Tahn rannte weiter und achtete nicht auf das Brennen in seiner Brust, als er nach Luft rang. Er bog um das Wurzelgewirr eines umgestürzten Nebelbaums und sah seine Freunde in vollem Lauf auf sich zurennen. Er brach erschöpft zusammen, doch ihm schwoll die Brust vor Freude. Sie kamen, jeder Einzelne von ihnen, allen voran Mira. Ihre Stiefel wirbelten die harten Blätter auf und zertraten andere. Binnen eines Augenblicks erreichte ihn Mira. Sie umarmte ihn fest und hielt ihn lange an sich gezogen. Dann eilte sie an ihm vorbei zum Tillinghast. Tahn nahm an, dass sie nach Zephora sehen wollte, aber er hatte keine Zeit, ihr zu sagen, dass er den Draethmorte beseitigt hatte, oder sie zu fragen, wie sie ihn besiegt hatte.
    Dann waren seine Freunde bei ihm. Sutter schlitterte heran, so dass sich ein Laubhaufen zwischen ihnen bildete und auf Tahns Schoß landete. »Eichhörnchen, bei meinen Himmeln, ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so froh sein würde, dich zu sehen!« Er drückte Tahn einen dicken Kuss auf die Wange und warf ein paar Blätter in die Luft, als würde er bei einem Fest Luftschlangen auf ihn herabregnen lassen. Die schweren Blätter hagelten wie kleine Kieselsteine auf Tahns Kopf.
    Tahn grinste. »Und ich war noch nie so froh, die Gesellschaft eines Mannes ertragen zu müssen, der im Dreck spielt.«
    Sutter

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