Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
Jedes Mal sah er eine Entscheidung, ein Wort, eine Tat, eine Antwort, die ihn zu anderen Entscheidungen weiterlenkte. Er staunte über die Windungen seines eigenen Weges durch dieses Gewebe miteinander verflochtener Momente.
Manche davon beschämten ihn, brachten ihn dazu, sich abzuwenden, obwohl er den Szenen, die sich vor ihm abspielten, nie entkommen konnte. Noch schmerzlicher waren Bilder aus seiner Vergangenheit, in denen er nichts tat, sich zum Nichthandeln entschied, das andere in Bedrängnis brachte. Diese Bilder zogen weitere nach sich, die das Leben vieler zeigten, für die Tahns Unentschlossenheit düstere Folgen gezeitigt hatte. Er erkannte sofort die schmerzlichen Gefühle der Menschen, die mit Trauer oder Einsamkeit rangen, weil er ihnen in einem wichtigen Augenblick keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Gelegenheiten, etwas zu verändern, stürzten in wilder Folge auf ihn ein, Gelegenheiten, die er hatte verstreichen lassen, weil er zu selbstsüchtig gewesen war, Hilfe zu leisten.
Andere Bilder brachten ihn zum Lachen, besonders die mit Balatin und Sutter. Die Gefühle der Liebe und Verbundenheit waren so stark wie damals, als er sie zum ersten Mal empfunden hatte. Tahns Sehnsucht, noch einmal mit seinem Vater zu reden, ließ ihn nach den Erinnerungen rufen. Obwohl er zu sprechen glaubte, hörte er nichts. Dennoch genoss er vieles, was ihm wieder einfiel, nachdem er es lange vergessen gehabt hatte, und sonnte sich in dem sorglosen Lächeln, das Wendra so oft zeigte. Er beobachtete, wie Balatin seine Pfeife rauchte, sang oder Geschichten erzählte. Er sah, wie Hambley einen Gegner nach dem anderen beim Armdrücken besiegte und dem Mann dann aufhalf, um ihm einen Becher Bitter auszugeben. Er sah Licht durch die Espen auf den Naghenhöhen fallen, auf einer Jagd vor mehreren Jahren. Er hatte dort auf die Morgendämmerung gewartet, wie er es immer tat, und ein wenig Vergnügen bei der Geburt des neuen Tages empfunden, da er irgendwie das Gefühl gehabt hatte, dass es notwendig war, dass er Zeuge des Ereignisses wurde.
Dann verschoben sich die Nebel, und Tahn beobachtete seine Reise von Helligtal bis zum Tillinghast. Er durchlebte sein Misstrauen und seine Ablehnung. Er empfand noch einmal die ersten Regungen bei Miras Anblick. Er spürte wieder die Handschellen und den Biss von Stahl in einer offenen Wunde, während er gefangen saß und sich für vergessen hielt. Er besann sich auf eine verlassene Stadt und darauf, wie er Sutter unerwartet mit leerer Bogensehne verteidigt hatte.
Vor allem aber erinnerte er sich daran, wie er es mehrfach versäumt hatte, Wendra zu Hilfe zu kommen. Beim ersten Mal, weil er nicht geglaubt hatte, dass er auf den Bar’dyn schießen sollte. Beim zweiten Mal, weil er geglaubt hatte, verliebt zu sein. Letzteres war seine schmerzlichste Erinnerung überhaupt am Tillinghast. Aber die Entscheidung brannte nicht mehr so wie zuvor, und Tahn wusste, dass er das Miras Opfer zu verdanken hatte.
Ein großes Rauschen begann, Nebel strömte auf ihn zu und wurde im Näherkommen immer schneller. Tahn sah vollkommen erstaunt zu, als tausend unterschiedliche Pfade aus tausend verschiedenen Entscheidungen durch seinen Verstand rasten. Im Kontrast zu seinem geschärften Bewusstsein, zu wem er geworden war, wurden ihm plötzlich zahllose Versionen seiner selbst gezeigt, die er nie sein würde. Er empfand abwechselnd Dankbarkeit für kleine Siege und Schuldgefühle über verpasste Gelegenheiten. Damit einher ging ein Sinn dafür, wie bedeutungslos das Messen von Zeit und Raum war. Er verglich es damit, auf einem hohen Berg zu stehen, von dem aus er einen Blick auf jeden Weg und seine Windungen hatte, während doch alle zum Gipfel emporführten. Oder vielleicht stand er auch auf tausend Bergen zugleich.
Wie ein Gewitter brachten die Nebel Lichtblitze und Zusammenballungen von Dunkelheit hervor. Erschreckende Bilder gingen daraus hervor, verwoben mit friedlichen Augenblicken. Das Ineinandergreifen widersprüchlicher Bilder wurde irgendwie leichter zu ertragen, und Tahn entspannte sich inmitten des Mahlstroms. Alles begann auf ihn zuzuwirbeln – seine Erinnerungen, seine Entscheidungen – und streifte seinen Verstand mit Möglichkeiten. Manche Dinge waren gewiss und unvermeidlich, andere unwahrscheinlich, aber verständlich.
Der Nebel züngelte an ihm entlang, durch ihn hindurch, drang in seine Sinne ein und betörte ihn, alles hinzunehmen. Er wurde ohrenbetäubend, füllte ihn aus, bis Tahn
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