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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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dass er vielleicht das nächste Mal, wenn er mit ihr allein war, mutiger sein würde. Er wurde schon rot, wenn er nur an ihr Gesicht zurückdachte.
    »Na, Rübenbauer, dafür bist du doch hergekommen.« Er deutete nach vorn. »Das sind mehr Abenteuer, als sogar du sie vertragen kannst.«
    Der Blick seines Freundes wurde kurz abwesend, bevor sein vertrautes Lächeln zurückkehrte. »Das werden wir ja sehen, nicht wahr, Eichhörnchen?«
    Je breiter die Straße wurde, desto verstopfter war sie zugleich. Eine Meile von der Stadtmauer entfernt lagen Häuser inmitten einer Masse von Zelten, die aus teuer wirkendem Stoff in leuchtenden Farben genäht waren. Viele Kochfeuer brannten hier, und der Rauch legte sich wie eine tiefhängende Wolke über die vielen behelfsmäßigen Behausungen.
    Längs der Straße hatten Händler Standplätze für ihre Karren abgesteckt. Sie bauten sich vor ihren Waren auf, hielten Proben dessen hoch, was sie zum Verkauf anboten, und waren eifrig darauf bedacht, Aufmerksamkeit zu erregen: Sie sprachen jeden an, der sie auch nur ansah. Alles, was Tahn sich vorstellen konnte, wurde von Hausierern und gepflegten Kaufleuten feilgeboten. Manche priesen exotische Speisen an und behaupteten, dass sie von so weit her wie Mal’Sent im Westen oder Klufthaven im Süden stammten. Tahn bemerkte Soldatenpaare in weinroten Röcken und Umhängen; ein weißer Kreis auf der linken Brusthälfte zeigte deutlich sichtbar das Wappen des Baums mit den Wurzeln.
    Das Chaos aus tausenden von Marktschreiern, kreischenden Kindern, Vieh und kleineren Haustieren, die blökten und bellten, Gelächter, Beleidigungen, Flüchen und Streitigkeiten brandete in einem Strudel aus Menschen auf Tahn ein. Es erinnerte ihn an die Straße nach Myrr, nur viel größer, viel überfüllter, gefährlich und irgendwie erschreckend hoffnungslos – all diese Leute vor den Toren … Weit mehr von ihnen sahen hier mit Raubvogelblicken und Waffen am Gürtel dem Treiben zu, während andere sich in den Schatten herumdrückten und schmutzige Hände nach Almosen ausstreckten.
    Tahn ließ das alles auf sich wirken und dachte sehnsüchtig an zu Hause.
    In vielerlei Hinsicht unterschied sich diese Stadt vor der Stadt von anderen, die er in letzter Zeit gesehen hatte, aber eine Einzelheit war mehr als nur ein wenig verstörend: Je näher Sutter und er der Stadtmauer von Decalam kamen, desto stärker waren die Straßenränder von Wanderpredigern bevölkert.
    Diese Männer, Frauen und Kinder schrien so begeistert wie ihre Handel treibenden Gegenstücke, schauten jedermann mit staunender Miene an und schienen doch niemanden zu sehen. Verfilztes, schmutziges Haar hing ihnen von der sonnengebräunten Kopfhaut, während sie manisch mit den Armen gestikulierten und sich himmelwärts wandten, um Reden zu schwingen.
    »Jeder Sohn und jede Tochter ist ein Gräuel, ein Fluch des Weißen.« Der Mann, der mit wildem Blick diese Tirade vortrug, rief mit Lippen, die vom unablässigen Reden und von der Sonneneinstrahlung rissig waren. Sein Mund war von Schorf überzogen, der vertrockneten Blutegeln glich, aber das stand seiner Raserei nicht im Wege: »Das Ende von Forda I’Forsa ist längst gekommen, und wir leben in einer hohlen Epoche, einem toten Zeitalter. Ein trockener Südwind weht uns aus weiter Ferne an und fegt von jenseits des Borns wie ein Raunen über uns hinweg. Seht ihr es denn nicht?« Der Mann begann auf und ab zu springen und unterstrich jedes Wort mit dem Auftreffen seiner Fersen auf dem Boden. »Wir sind längst Stilletreue! Wir sind der Erde anheimgefallen und nur noch nicht aufgewacht, so dass wir die Würmer noch nicht schmecken. Keine Exigenz, kein Lenker, keine Regentin und kein General kann ungeschehen machen, was angerichtet worden ist. Unser Leidenslied ist vorüber, wir hören nur noch sein Echo, das von einer fernen Klippe zurückgeworfen wird. Und wenn es verklungen ist, werden wir seit einer Generation tot sein!«
    Tahn und Sutter machten einen großen Bogen um den Mann und kamen deshalb dicht an einer Frau vorbei, die auf einem kunstvollen Teppich saß, mit den Fingern schnippte und Worte sprach, die sich alle drei Sätze reimten. Sie redete von Ländern westlich von Mal’Sent, von ganzen Welten jenseits der Ozeane. Sie erzählte von einem Ort, der sich hinter dem Born verbarg wie das vergessene Kind verwaister Eltern. Am Ende jedes Reims schlug sie die Augen auf, um zu sehen, ob jemand ihr eine Münze in den Hut am Rande ihrer Decke

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