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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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gelegt hatte. Ihr fülliger Bauch quoll über den Rockbund, und ein schmales Umschlagtuch, das ihr locker von den Schultern hing, ließ den üppigen Busen darunter mehr als nur erahnen. Sie hatte ihr glattes dunkles Haar mit einem Messingring auf dem Kopf zusammengefasst, so dass es wie eine Getreidegarbe zum Himmel zeigte.
    Aber am seltsamsten von allen war vielleicht das Kind, das auf einer Holzkiste stand und mit einem Holzbein die Antwort auf Fragen klopfte. Tahn und Sutter machten halt, um zuzusehen. Ein Mann, der hinter dem Jungen stand, übersetzte die Antworten denjenigen, die für das Wissen bezahlten. Ein kleines Holzschild, das an der Kiste des Jungen lehnte, verkündete, dass seine Fähigkeit ein Geschenk der Ersten sei und dass er aus den Bergen gerettet worden wäre, in denen angeblich das Tabernakel des Himmels lag, wo die Väter bei der Schöpfung gesessen hatten. Als das Kind die Hand hob, so dass ein langer Riss im Saum seines Hemds sichtbar wurde, konnte Tahn deutlich seine Rippen erkennen. Was er nur tun muss, um zu essen zu bekommen! , dachte Tahn, als der Junge eine neue Antwort auf irgendein Rätsel klopfte.
    Diese seltsamen und verzweifelten Leute faszinierten Tahn am meisten. Er wusste nicht, ob er sie bedauerte oder hoffte, dass einer von ihnen vielleicht in der Lage sein würde, ihm zu helfen, die Rätsel seines eigenen Lebens zu lösen. Vielleicht beides.
    Er und Sutter ritten weiter.
    Hundert Schritt von der Mauer entfernt blickte Tahn erneut staunend zu dem hoch aufragenden majestätischen Bauwerk auf. Alle fünfzig Schritt ragte der Wehrgang ein Stück vor. Soweit Tahn erkennen konnte, enthielt jede der Ausbuchtungen zwei Ballisten. Er sah auch in gewissen Abständen die Köpfe und Schultern der Männer, die auf dem Wehrgang patrouillierten und von der Mauer hinabspähten, um die Vorgänge unten zu überwachen. Als Tahn in beide Richtungen blickte, fiel es ihm noch immer schwer, festzustellen, wo genau die Stadtmauer endete.
    Tahn konzentrierte sich auf die breiten Tore und drängte sich durch Strudel aus umherspazierenden Käufern und Reisenden, die auf dem Weg zur Stadt waren. Sutter nickte einem Mann mit Messinghelm und langem scharlachrotem Umhang zu. Der Soldat erwiderte den Gruß mit der kleinsten nur vorstellbaren Bewegung. Auf beiden Seiten standen acht weitere Männer in scharlachroter Kleidung und beobachteten den Menschenstrom, der sich durch die Stadttore ergoss.
    An der Schranke wartete eine Schlange aus Wagen und Kutschen darauf, durchsucht zu werden; eine zweite Schlange bewegte sich schneller, da dort nur Leute zu Fuß kurz überprüft wurden, bevor man sie einließ. Als Tahn und Sutter einen uniformierten Aufseher erreichten, der ein kleines Schreibheft in der einen und einen Federkiel in der anderen Hand hielt, schnürte Panik Tahn die Kehle zu.
    In müdem Leierton fragte der Mann: »Was führt euch nach Decalam?«
    Bevor Tahn antworten konnte, verkündete Sutter: »Wir haben Hunger.«
    Ein schiefes Lächeln huschte über die Lippen des Mannes, als er sie beide musterte. »Ihr seid keine Anwärter auf irgendeinen Sitz?«
    »Was?«, fragte Sutter.
    »Reitet weiter«, antwortete der Soldat, »und seht zu, dass ihr nicht in Schwierigkeiten geratet.«
    Erleichterung durchströmte Tahn, als er unter der dicken roten Steinmauer von Decalam hindurchritt. Er hörte wie aus weiter Ferne in Gedanken einen Ruf – die Stimme des Sheson, der sie anwies, sich an diesen Ort zu begeben. Und jetzt waren sie unbeschadet hier eingetroffen. Im Schatten des Tores fühlte Tahn sich nicht mehr wie ein Kind diesseits des Wandels, Einstand hin oder her. Das Ende des Zyklus würde vielleicht bald kommen, aber ein Teil von ihm glaubte, dass ihm, wenn er nach Helligtal zurückkehrte, alles dort anders erscheinen würde, selbst wenn es noch genauso war wie vorher. Kleiner.
    Innerhalb des großen Mauerrings ragten Gebäude mehrere Stockwerke hoch auf. Nur wenige Schritte hinter dem Tor funkelten Fassaden im Sonnenlicht. Die meisten waren mit weißem Stein verblendet. Manche waren glatt poliert, so dass sich darin schwach die Straße, auf die sie hinausgingen, widerspiegelte, andere waren grob behauen. Auf den Dächern ragte eine Vielzahl von Tierstatuen aus dem Stein auf; sie spähten nach unten wie reglose Schutzgeister. Die Fenster unterschieden sich in Größe, Form und Farbe: Die der teureren Gasthäuser schienen gerade Linien und Winkel aufzuweisen, in die rechteckige Glasscheiben eingesetzt

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