Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
auch Städtchen sahen, noch häufiger gab es Lager aus bunt geschmückten Wagen und Kutschen. Fahnen erhoben sich hoch an Stangen und Speeren, von denen manche von Männern mit harten Augen getragen wurden, die keinen Blick erwiderten. Häufig wirkten die Flaggen wie selbstgemacht, in weniger leuchtenden Tönen gefärbt, und zwar gekonnt, aber nicht unbedingt kunstvoll bestickt. Diese Fahnen waren an Lanzen gebunden, von denen Tahn annahm, dass sie einmal Ackergeräte gewesen waren. Die beiden durchquerten diese Städtchen und Lager ungesehen. Die Stadtbewohner und die Leute, die eigene Wappen führten, schienen sich nur für die Bannerträger zu interessieren.
In der Abenddämmerung des dritten Tages nach der öffentlichen Hinrichtung tauchte das Licht die streifenförmigen Wolken in rotbraune Farbtöne, so dass sie wie große Versionen der Fahnen wirkten, die sie gesehen hatten. Staubiges Unkraut säumte die Straße, verschmutzt vom Vorüberkommen tausender Räder und Hufe. Dann und wann passierten Tahn und Sutter eine Ansammlung von Wagen, die auf einem Brachfeld im Kreis gegen die Abendkälte zusammengerückt waren. Feuer loderten in ihrer Mitte, und aus der Ferne drangen das Raunen der Gespräche und der leichte, verlockende Duft nach gebratenem Fleisch durch die Luft. Sogar dort erhoben sich Standarten in die Schatten des Sonnenuntergangs und verkündeten Zugehörigkeit oder Abstammung. Die Symbole und Farben hoben sich lebhaft von der sich verdichtenden Dunkelheit ab, aber Tahn erkannte keines von ihnen. Er ging davon aus, dass es sich um adlige Familien handelte.
Als sie sich auf der Straße weiter vorwärtsbewegten, wurden sie fast von einer schnell vorrückenden Kolonne niedergeritten.
Sie wurde von einem einsamen Reiter angeführt, der ein Horn in der Hand hielt. Hinter ihm kamen acht Reiter, die wertvolle Prunkrüstungen trugen. Einer von ihnen hielt eine Standarte an einer langen Stange. Das Banner zeigte einen glänzenden Silberhammer im schwarzen Feld. Als Nächstes kam ein Trosswagen, der von einem Gespann aus sechs Pferden gezogen wurde. Nach ihm rasten vier vierspännige Kutschen vorbei, gefolgt von einem zweiten Trosswagen. Hinter der Prozession zählte Tahn nicht weniger als dreißig Mann, von denen die meisten Lamellenrüstungen oder Schuppenpanzer trugen. Die Hälfte war mit Bögen ausgerüstet.
Das Rattern der Räder und die Hufschläge erfüllten den Abendhimmel wie Donner.
Sutter sackte der Unterkiefer herunter, und er riss die Augen auf. Tahn klopfte ihm aus Spaß auf den Rücken, war aber selbst nicht weniger beeindruckt. Die Parade von Standartenträgern wies sicher auf königliche Gesandte irgendeiner Art hin. Tahn kannte das Wappen nicht, aber eines schien gewiss zu sein: Sie waren auf dem richtigen Weg nach Decalam. Binnen Sekunden war die Landstraße wieder frei, bis auf eine Staubwolke, die sich einfach nicht legen wollte.
Am folgenden Morgen verbreiterte sich die Straße beträchtlich und wies von Stunde zu Stunde mehr Schlaglöcher und tiefere Fahrspuren auf. Bauernhöfe voller Rinder, Schafe und Ziegen erstreckten sich rechts und links der gewundenen Straße über mehrere Hügel. Tahn fiel auf, dass viele der Tore, die zu den Häusern hinüberführten, ein schmiedeeisernes Wappen trugen, das einen Baum mit ebenso vielen Zweigen wie Wurzeln zeigte.
Dann tauchte unerwartet eine große Mauer in der Ferne auf. Sie ragte doppelt so hoch auf wie jede andere, die Tahn je zuvor gesehen hatte, und erstreckte sich so weit nach Osten und Westen, dass Bäume ihre Endpunkte verdeckten. Über die Mauer hinweg konnte Tahn sogar noch höhere Kuppeln, Turmspitzen, große, gewölbte Dächer und Giebel sehen, die spitz wie Speere zuliefen, einer höher als der andere. Schon von weitem spürte er die schiere Größe der Stadt Decalam. Aus der Ferne hatte die Mauer einen flirrenden Goldton, der jenseits der Hitze schimmerte, die aus dem Land aufstieg.
Aber Tahn wusste, dass die Stadt kein Trugbild war.
Mehr und mehr Reisende schlossen sich dem Menschenstrom an, der sich aufs Tor zubewegte, manche zu Fuß, andere zu Pferde wie Tahn und Sutter, wieder andere in kunstvoll verzierten Kutschen. Abermals tastete Tahn nach den Stäben in seinem Umhang. Sie zu berühren beruhigte ihn ein wenig, bis ihm Wendra wieder einfiel. Er konnte nur hoffen, dass sie und die anderen unbeschadet hier angekommen waren.
Der Gedanke an die anderen weckte in ihm plötzlich machtvolle Sehnsucht nach Mira. Er dachte,
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