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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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grinste Tahn hämisch an und versuchte, Jole beiseitezuschieben. Die Menge schloss sich hinter ihnen. Tahn lenkte sein Pferd nach links und führte Sutter zum Straßenrand.
    Dann hallte über den Tumult hinweg eine laute Stimme von den Steinfassaden der Gebäude wider: »Mit aufrichtigem Bedauern, aber kraft der Autorität des Höchsten Gerichts vollstrecken wir heute vor euch ein Urteil.«
    Tahn kniff die Augen zusammen und spähte in die Ferne. Es sah nach einem Galgen aus. Er hatte von so etwas in den Geschichten gehört, die Ogea am Nordsonnfest vorgetragen hatte. Der dünne Mann, der von der Plattform aus seine Ansage machte, trug die Farben der Wachen von Decalam und rief durch einen Trichter, den er sich beim Sprechen an die Lippen hielt. Aber alles blieb so weit entfernt, dass Tahn kaum etwas davon erkennen konnte. Als der Mann weitersprach, stiegen zwei Gestalten eine Treppe hinauf und stellten sich hinter ihn.
    »Es soll kein Zweifel daran bestehen, dass nicht darauf verzichtet wird, Gerechtigkeit zu üben. Die Regentin wird sich von keiner Drohung umstimmen lassen.« Einige Leute protestierten, andere jubelten. »Heute soll ein Verrat so beantwortet werden, wie es dem Verbrechen angemessen ist.«
    Leute drängten sich hin und her, um bessere Sicht zu bekommen. Tahn sah an dem Mann an der Kante des Schafotts vorbei zu den beiden, die hinter ihm standen. Eine schreckliche Gewissheit dämmerte ihm.
    »Komm schon!«, flüsterte er Sutter inbrünstig zu und riss Joles Kopf herum. »Aus dem Weg!«, brüllte er und trieb Jole durch die dichte Menschenmenge zurück. Es hagelte Schimpfworte, und ein paar Leute schlugen nach Tahns Beinen, während er, als er sich endlich aus dem Gedränge lösen konnte, schneller wurde und von dem Galgen davonsprengte.
    Sutter schloss zu ihm auf. »Was tust du?«
    Tahn antwortete nicht. Er konzentrierte sich darauf, die verschiedenen Hindernisse auf der Straße zu umgehen. Apfelkerngehäuse segelten an seinem Kopf vorbei, und Steine gingen auf seinen Oberkörper und seine Schultern nieder; nicht wenige trafen auch Jole, als Tahn ihn die überfüllte Straße entlanglenkte. Sutter schrie die Leute an, die sie mit Gegenständen bewarfen, und versicherte ihnen, dass er ihnen ihre Feindseligkeit heimzahlen würde. Als sie eine enge Seitengasse erreichten, bog Tahn nach links ab. Sie sprangen über umgestürzte Fässer und zerbrochene Kisten. Die Hufschläge hallten von den Wänden wider. Sutters alter Klepper mühte sich ab, mit Jole Schritt zu halten.
    Als sie auf die nächste Straße hinauskamen, zügelte Tahn sein Pferd und sah nach links. Mehrere Kreuzungen weiter nördlich hatte die Menge sich gerade erst zu versammeln begonnen.
    »Da!«, rief Tahn, riss Jole wieder nach links herum und spornte ihn an.
    Kutschen krängten zur einen oder anderen Seite, als Tahn ihnen zuschrie, auszuweichen. Kinder klatschten angesichts des Spektakels in die Hände, und Tahn sah zwei Soldaten in scharlachroter Kleidung in seine Richtung schauen, als er vorbeischoss. Er blickte nicht zurück, um festzustellen, ob sie ihn verfolgten. In der Nähe der Kreuzung, auf der die Leute sich am dichtesten drängten, um Zeugen der Urteilsvollstreckung zu werden, zügelte er Jole erneut. Die Hufe des Pferdes schlitterten und schrammten über den Stein, als es im Ausrutschen darum rang, das Gleichgewicht zu halten. Die Meute wich zurück, als Tahn an der Straßenecke tollkühn abbremste.
    Sutter kam hinter ihm heran und landete mit einem lauten Plumpsen auf dem Boden, als seine alte Stute ihn abwarf. Tahn sah sich rasch um und erkannte, dass einige Fenster im ersten Stock kleine Balkone hatten, die auf die Straße hinausgingen. Er stellte sich vorsichtig auf Joles Sattel und sprang. Als er eine Balustrade zu fassen bekam, zog er sich hoch. Ein paar Leute schienen das zu missbilligen, aber zugleich Tahns Bedürfnis zu verstehen, freie Sicht auf die Hinrichtung zu haben. Sutter begann das Gebäude hinaufzuklettern, indem er die tiefen Fugen im Mauerwerk als Griffe nutzte.
    Tahn ließ sich an der Balkonseite, die dem Galgen am nächsten war, auf ein Knie nieder. Obwohl er immer noch sechzig Schritt entfernt war, befand er sich nun viel näher daran als zuvor. Er konnte den Gesichtern der Verurteilten die Angst ansehen.
    »… Entschlossenheit ist unumstößlich«, sagte der Wachsoldat gerade. »Ob ein Gerücht nun wahr ist oder nicht, alle Dinge sind der Herrschaft des Rechts und dem Ermessen der Regentin

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