Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
nur drei Tische und weiter hinten ein paar Liegen hatte, auf denen fleischliche Genüsse feilgeboten wurden. Ich ging eher aus Gewohnheit als in dem Glauben hinein, dass meine Suche noch Früchte tragen würde. Ein Mann saß allein an einem der niedrigen Tische und hatte ein Glas vor sich stehen, in das sparsam Rotwein aus einer Flasche eingeschenkt worden war. Eine Liege knarrte unter zwei Benutzern, die ihre Dienste für Geld verkauften. Ich war dankbar für den schwachen Kerzenschein in der Schenke und setzte mich hin. Ein Mann, dessen Körpergröße dafür sorgte, dass er von den Schatten umfangen blieb, stellte mir ein Glas und eine Flasche auf den Tisch und zog sich dann auf einen Hocker neben einem Schneidbrett in der Ecke zurück. Ich erinnere mich an den Gestank von Schmutz auf dem Boden, schlechten Kerzendochten und nicht aufgewischtem verschütteten Wein, der ins Holz eingezogen war. Es war keine Umgebung, in der man einen ehrbaren Lenker des Willens vermutet hätte, sondern ein vergessener, ein letzter Ort. Er passte sehr gut zu meiner Stimmung, und ich füllte mir das Glas. Ich beschloss, dass ich nicht länger suchen würde. Stumm trank ich, da ich es nicht eilig damit hatte, meine Sinne zu betäuben, um dann nach Hause zurückzukehren und meiner Mutter die schreckliche Wahrheit zu offenbaren: Ihr Buch war nur eine Geschichte. Ich beobachtete die Kerzenflamme und versuchte, das gelegentliche Stöhnen aus dem hinteren Teil des Schankraums zu überhören. Mir kam der Gedanke, dass eine Münze länger hinreichte, als ich gedacht hätte.« Wieder das traurige Lachen. »Als meine Flasche fast leer war, nahm ich sie zur Hand, um mir den Rest einzugießen, als eine Gestalt aus dem Zwielicht hervortrat. ›Willst du deine Flasche austrinken, ohne mir etwas anzubieten?‹, fragte der Mann. Ich blickte in ein gütiges Gesicht auf, und im Schein meiner Kerze lächelte der Mann schwach. Ich erinnere mich, dass ich den Eindruck hatte, dass sein Lächeln den Raum erhellte und ihn weniger erbärmlich und widerwärtig erscheinen ließ. Ich nickte, und der Mann stellte sein Glas auf den Tisch und setzte sich zu mir. Er fragte mich, wer ich sei und was mich in diese kleine Schenke geführt habe. Ich erzählte ihm alles und rechnete mit einer der Reaktionen, die meine Nachforschungen in ganz Decalam hervorgerufen hatten. Aber stattdessen schob er mir nur sein Glas hin. In meiner Flasche war bloß noch ein Schluck für jeden von uns, aber ich goss ein. Dann schob er sein Glas beiseite und fragte mich, warum ich dem Mann aus dem Buch meiner Mutter nachfolgen wollte, sagte, dass er, wenn es nicht ohnehin nur eine Fabel wäre, doch sicher schon vor so vielen Jahren gestorben sei, dass nichts von seinem edlen Kampf geblieben wäre. Ich sah in mein eigenes Glas, und die gewölbte Oberfläche spiegelte mein Gesicht verzerrt wider.«
Tahn hörte die Ketten des Mannes rasseln, als würde er bei der Erinnerung an das Glas die Hand heben.
»›Wenn die Geschichte wahr ist, dann überdauert das, was er begonnen hat, sicherlich‹, sagte ich. ›Aber ich bin müde und vielleicht noch zu jung, um die Dinge so zu sehen, wie sie sind.‹ Angesichts meiner Nase, die sich in meinem Glas übergroß widerspiegelte, kam ich mir wie ein völliger Narr vor, und so drehte ich mein Glas um und goss den sauren Wein aus, damit er den Flecken der anderen Narren Gesellschaft leisten konnte, die zum Trinken hierherkamen. Dann schob ich mein leeres Glas beiseite und starrte das freundliche Gesicht meines Gastes an. Hinter uns ertönte das Stöhnen nun häufiger, und in den mild erheiterten Augen meines Gefährten spiegelte sich die Flamme zwischen uns wider. Ob seine Heiterkeit mir oder den Leuten auf der Liege galt, wusste ich nicht so genau.« Rolen senkte die Stimme. »Der Mann legte die Hände um sein Glas. Ich spürte seine Konzentration, als er mich starr ansah und mit den Augen zu sprechen schien. Einen Moment später glättete sich seine Stirn, und er streckte mir ein randvolles Glas Branntwein hin, aus dem er mir ein halbes einschenkte … Ich hatte den Sheson doch noch gefunden. Er hieß Artixan, und ich wurde sein Schüler. Zwölf Jahre lang lernte und las ich. Ich schritt durch die Straßen von Decalam und reiste mit Artixan in andere Städte und Dörfer, um ihm zuzusehen und zu helfen. Ich eignete mir das Wissen nicht leicht an; vieles musste ich wieder und wieder lernen. Aber am Ende kam mir meine Sehnsucht zu Hilfe, indem sie mich
Weitere Kostenlose Bücher