Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
plötzlich unter Hunger und Durst. »Mein Mund ist trocken«, sagte er.
»Du wirst an deinem vierten Tag hier etwas zu essen erhalten, und was du schlucken und trinken kannst, wird einfach durch dich hindurchströmen wie Regen durch einen Wasserspeier. Es wird wahrscheinlich verschimmeltes Brot geben und Wasser, das schon abgestanden ist, seit du hergekommen bist.« Tahn glaubte ein Lächeln zu hören. »Es schmeckt trotzdem gut, obwohl es dir Schmerzen bereiten wird, wenn du es auf leeren Magen zu dir nimmst.«
Tahn stöhnte und lehnte sich gegen die Wand hinter sich.
»Ich teile meine Ration mit dir«, sagte der Mann, »damit du für die Worte, die du großzügig mit mir wechselst, bei Kräften bleibst.«
Für einen Augenblick spielte Tahn mit dem Gedanken, abzulehnen, aber dann erschien ein Arm im Licht, das durchs Fenster fiel, und schob einen Metallteller mit einem Stück Brot und einer Scheibe Käse auf ihn zu. Einen Moment später kam ein angeschlagener Krug. Das Gesicht und die Schultern des Mannes blieben im Schatten jenseits des Lichtkegels. Der Mann schwieg, während Tahn aß.
Noch nie hatte warmes Wasser seinen Durst so vollkommen gestillt. Er bemerkte kaum, wie ihm die Handschellen an den wunden Handgelenken brannten. Als er fertig war, erschienen die Arme wieder und holten sich Teller und Krug zurück. Tahn rechnete fast damit, dass der Mann ihn nun bedrängen würde zu beginnen, aber bald hörte er das tiefe Einatmen eines Schlummernden und erkannte, dass der Mann eingeschlafen war.
Aus der Tiefe seiner eigenen Schatten beobachtete Tahn das Rechteck aus Licht und wurde von einem wachsenden Gefühl der Verlassenheit ergriffen. Er wusste nicht, wie lange er vor sich hinstarrte, bevor er zu erzählen begann und das Echo seiner eigenen Stimme hörte, das vom unbarmherzigen Stein zurückgeworfen wurde. Seine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, aber seine leise Stimme trug in der stinkenden Luft weit. Beinahe sofort spürte er, dass der Mann ihm lauschte. Zwar unterbrach ihn kein Kettenrasseln oder Scharren, aber sein Publikum hörte jedem Wort zu, ein Publikum aus nur einem Menschen, der auf unnachgiebigem Stein lag.
Irgendwie fühlte es sich wie ein Geständnis an.
Tahn erwähnte jede Einzelheit, an die er sich noch erinnern konnte, und behielt nur zweierlei für sich: dass der Schreiber ihm die Stäbe anvertraut und er mit leerem Bogen auf Sevilla gezielt hatte. Er erzählte von Vendanji und seinem seltsamen Erscheinen in Helligtal an dem Abend, als Wendra angegriffen worden war. Er erzählte von den Sedagin und von Sutters Tanz mit Wendra. Er berichtete von den dunklen Nebeln, davon, wie Sutter und er von Mira, Penit und den anderen getrennt worden waren, von dem, was ihn dazu gebracht hatte, geradewegs in diese brodelnden Wolken zu fliehen. Er sprach von dem Lul’Masi und den Zelten der Tenendra, von dem Brand in der Bibliothek von Kumram, von Steinsberg und seinem Kampf mit dem körperlosen Wesen. Er beschrieb angewidert, wie die Frau auf Befehl der Liga verbrannt worden war. Mehrere Male unterbrach er sich, um etwas zu ergänzen, das er zunächst zu erwähnen vergessen hatte.
Er schloss, indem er seine Ankunft in Decalam schilderte, bei der er entdeckt hatte, dass gerade eine weitere öffentliche Strafe vollzogen werden sollte. Er beschrieb die Uneinigkeit der Zuschauermenge bei der Hinrichtung und seinen Eindruck, dass einer der Männer nicht hätte getötet werden sollen.
»Und so bin ich nun hier«, sagte Tahn und beendete damit seine Geschichte. »Es kommt mir so vor, als wäre es ein ganzes Leben her, dass ich an der Schlucht gesessen und nach dem Hirschrudel Ausschau gehalten habe, das die Rinne heraufkam.« Er blickte auf. »Da hat es begonnen«, fügte er hinzu. »Mit einem Mann, der einen dunklen Umhang trug, der scharlachrot schimmerte, wenn er sich bewegte. Er hat den Hirsch getötet, den ich verschont hatte, hat Regen zu einem Wasserstrahl aufgepeitscht, der das Tier in die Erde gedrückt hat.« Tahn schüttelte den Kopf. »Als er fertig war, habe ich gesehen, wie er die Hände in den Schlamm gesteckt und den feuchten Boden dazu gebracht hat, zu Glas zu verbrennen.«
Tahn sehnte sich nach einem weiteren Schluck Wasser aus dem lauwarmen Krug des Mannes. Sein Mund und seine Kehle waren wieder trocken. In der Zelle war es still, bis sein Mitgefangener einen leisen Laut des Erstaunens ausstieß.
»Bei Palamon, mein Sohn, wer bist du?«
Tahn versuchte erneut, durch den
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