Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
Mannes, den es große Anstrengung gekostet hatte, seine Geschichte zu erzählen. Er klang in der Tat schwach, und das Rasseln seiner Lunge erinnerte Tahn an das Winterfieber und die Pocken, die er vor mehreren Jahren gehabt hatte. Rolen hustete mit einem feuchten, schmatzenden Geräusch, das Tahn zusammenzucken ließ. Er hörte den Mann Flüssigkeit auf den Boden spucken, und Tahn war erneut dankbar für die Dunkelheit.
Als Rolen wieder zu Atem gekommen war, lachte er noch einmal leise, was wiederum unterdrücktes Husten hervorrief.
Eine verstörende Erkenntnis schlich sich in Tahns müden Geist. »Du bleibst freiwillig hier, nicht wahr?«
12
Maesteri
W endra blickte auf, als sie Penit nach Luft schnappen hörte. Der Junge hatte die Augen unglaublich weit aufgerissen und starrte in die Ferne. Als Wendra hinschaute, sah sie etwas, dem keine Beschreibung eines Vorlesers je hätte gerecht werden können: eine Mauer, die mehr als tausend Schritt breit war und sich scheinbar so hoch wie die Klippen der Sedagin aus der Ebene erhob. Die Lager längs der Straße und am Fuße der Mauer hätten Helligtal über hundert Mal ausfüllen können. Wendra fragte sich, was aus diesen Leuten außerhalb des Schutzes des gewaltigen Bollwerks werden würde, wenn je eine Armee Decalam belagerte.
»Da ist es«, verkündete der Ta’Opin. »Das Juwel von Vohnce, Heimat der Regentin wie des geringsten Bettlers, Haus des Liedes und Ort von Auseinandersetzungen, der heimische Herd, an den man zurückkehrt, und ein Tisch mit vielen Plätzen.« Ein breites Grinsen trat auf Shanbes Gesicht – das Grinsen eines Mannes, der nach Hause kommt.
»Wie groß ist es?«, fragte Penit mit sichtlicher Ehrfurcht.
»Na, wie groß sieht es denn aus, Junge?«, fragte Shanbe und lächelte noch immer. »Ganze Berge sind niedergerissen worden, um den Stein, der hier vermauert ist, zu brechen, und ganze Wälder sind öfter, als ein Mensch zählen kann, gefällt und neu gepflanzt worden, um die Schmieden zu befeuern, die zum Bau vonnöten waren.« Der Ta’Opin ließ den Blick von ganz links nach rechts schweifen. »Es ist ein Juwel«, wiederholte er.
Shanbe fuhr sie über die verstopfte Landstraße zu dem breiten Tor. Mehrere Dutzend Soldaten, die dunkelrote Umhänge über funkelnden Kettenhemden trugen, überprüften jeden, der in die Stadt wollte, mit kritischem Blick. Wagen und Kutschen wurden beiseitegewinkt, um durchsucht zu werden. Kaufleute reichten Auflistungen ihrer Waren weiter, und viele traten unruhig von einem Fuß auf den anderen, während ihre Ladungen in Augenschein genommen und mit den Frachtpapieren abgeglichen wurden.
Shanbe reihte sich hinter einem kunstvoll verzierten Einspänner in die Schlange ein. Zierliche Schnörkel waren in dunkles Mahagoniholz geschnitzt. Wendra erhaschte Blicke auf den glänzenden rotbraunen Stoff, mit dem die Sitze bezogen waren. Messingbeschläge blitzten als Aufhängung, Winkelverstärkung und Seitenlaternen am königlichen Kutschenkasten. Auf dem Dach flatterte ein weißes Banner im Wind, das in schlichten, eleganten Umrissen das Bild eines Greifvogels zeigte.
An jeder Ecke der Kutsche war eine kleine Plattform angebracht, und auf jeder davon stand ein Bewaffneter in strahlend weißem und kastanienbraunem Brokat. Diese Begleitsoldaten hielten sich an Messinggriffen fest, die am Kutschenkasten befestigt waren, und musterten die Inspektoren von Decalam mit Raubvogelblicken.
»Was habt ihr da?«, rief eine Stimme und zog so Shanbes Aufmerksamkeit auf sich.
»Instrumente für die Kathedrale«, sagte der Ta’Opin, zog ein Pergament aus dem Mantel und streckte es demselben Inspektor hin, der auch die Kutsche vor ihnen überprüft hatte.
Der Mann ließ flüchtig den Blick über den Wagen schweifen, bevor er die Leinenplanen zurückschlug, um die Liste zu überprüfen.
»Und wer sind die da?«, fragte der Inspektor.
Es hörte sich in Wendras Ohren nicht nach einer förmlichen Frage an, aber als Shanbe nicht sofort antwortete, hob der Mann den Blick von der Liste.
»Das hat man mich noch nie gefragt, mein Herr. Spielt es denn eine Rolle, wer sie sind?«
Ein ungeduldiger Unterton schlich sich in die Stimme des Inspektors. »In letzter Zeit hat es mit all den … Einwanderern Ärger gegeben. Wir möchten gern Bescheid wissen, wer … zu Besuch kommt.«
Shanbe nickte. »Der Junge heißt …«
»Ich bin Penit.« Der Junge erhob sich auf der Ladefläche und deutete mit dem Daumen auf seine Brust. »Ich habe
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