Das Gift der alten Heimat
Tisch fiele.«
»Was?« stieß der Polizeichef überrascht hervor.
»Ich hätte nichts dagegen, wenn die nicht unter den Tisch fiele«, wiederholte Miller, der eine bestimmte Absicht verfolgte.
»Aber das gäbe doch einen riesigen Skandal in Rheinstadt. Sie sind ja nicht irgendwer. Die Presse würde sich auf den Fall stürzen.«
»Ginge der Skandal nicht zu meinen Lasten?«
»Sicher nicht«, antwortete der Polizeichef ohne Zögern.
»Warum nicht?«
»Sie wissen doch, Mister Miller, wie man hier über Sie denkt, was man von Ihnen erwartet. Ganz Rheinstadt würde sich auf Ihre Seite stellen. Ich geriete in der Öffentlichkeit in ein solches Kreuzfeuer, daß ich mich nur noch versetzen lassen könnte. Ich habe aber hier mein Haus, meine Frau ist geborene Rheinstädterin, meine Kinder gehen hier zur Schule. Verstehen Sie mich?«
»Sie reden sehr offen mit mir«, antwortete mit unbewegter Miene John Miller, dem es darum ging, daß dieser Rassist – und seine Gesinnungsfreunde – nicht ganz unbehelligt davonkam. »Trotzdem kann ich nicht vergessen, daß Sie auch auf die amerikanische Botschaft gespuckt haben.«
»Das ist übertrieben!«
»Als amerikanischer Bürger bin ich verpflichtet, so etwas nicht hinzunehmen. Die USA sind –«
»Mister Miller«, unterbrach der Polizeichef, der ein dienstlich gehärtetes, abgebrühtes Wesen besaß, »ich sehe schon, ich muß noch offener mit Ihnen reden. Vermutlich schätzen Sie Ihren Neffen Paul sehr?«
»Sehr!«
»Würden Sie es gerne sehen, wenn es in seiner Familie einen Kriminellen gäbe, einen Vorbestraften?«
Johnny starrte den Polizeichef an.
»Wieso?« fragte er dann irritiert.
Der Polizeichef räusperte sich.
»Karl, der Sohn Ihres Neffen, fährt seit einiger Zeit mit dem Motorrad eines älteren Freundes herum. Das ist eine unselige Leidenschaft von ihm. Unselig deshalb, weil er noch keinen Führerschein hat. Wir haben ihn bereits zweimal verwarnt – mündlich. Nun sah ich ihn gestern wieder fahren. Wohlgemerkt: nur ich allein. Es wäre also eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft fällig. Noch bin ich mir aber nicht schlüssig. Was raten Sie mir, Mister Miller?«
Johnny blickte dem Polizeichef in die Augen.
»Ich verstehe – Sie schlagen mir ein Geschäft vor?«
»Solche Geschäfte sind doch in Amerika auf dem polizeilichen Sektor gang und gäbe, Mister Miller?«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Vom Fernsehen«, sagte der Polizeichef trocken.
Das war der Fluch der TV-Serien mit Kojak & Co. Johnny Miller mußte sich geschlagen geben.
»Okay«, sagte er. »Wir sind uns einig, der Handel gilt.« Dabei erhob er sich, um das Revier, von dem er die Nase voll hatte, zu verlassen.
»Der Handel gilt«, bestätigte auch der abgebrühte Polizeichef. »Wir sollten darauf eigentlich noch einen Schluck trinken …« Und er rief, ehe Miller reagieren konnte: »Schäfer!«
Der Hauptwachtmeister erschien aus dem Nebenraum.
»Herr Polizeirat?«
»Bringen Sie die Flasche und die Gläser.«
Schäfer erschrak.
»Welche Flasche, Herr Polizeirat?«
»Die Sie hier weggenommen haben. Spülen Sie aber die Gläser vorher aus.«
»Wozu, Herr Polizeirat?«
»Wozu wohl?« Die Stimme des Chefs wurde scharf. »Fragen Sie nicht so dumm!«
»Sie wollen trinken?«
»Was denn sonst, verdammt noch mal! Wird's bald!«
Schäfer räusperte sich. Das, was er zu sagen hatte, fiel ihm nicht leicht.
»Die Flasche ist leer, Herr Polizeirat.«
»Wieso? Da war doch noch etwas drin?«
»Ein ganz kleiner Rest, Herr Polizeirat.«
»Und wo ist der? Er würde uns« – sein Blick wechselte zu Miller, der sich das Lachen verbeißen mußte – »genügen.«
»Ich … ich habe ihn gerade weggeschüttet, Herr Polizeirat.«
»Warum lügen Sie?!« fing der Chef an zu schreien. »Zeigen Sie mir den nassen Fleck!«
Er sprang auf, schob den auf der Schwelle stehenden Hauptwachtmeister beiseite und drang wahrhaftig in den Nebenraum ein, um zum Schein eine kriminalistische Tatortbesichtigung durchzuführen, mit der der Untergebene in noch größere Verlegenheit zu bringen war.
Miller konnte darüber nur den Kopf schütteln. Das Geschrei, das aus dem Nebenraum drang, ging ihm auf die Nerven. Um ihm zu entfliehen, machte er sich rasch von dannen, lief am Ufer des Rheins entlang und war froh, als er das Haus seines Neffen Paul Müller erreichte.
Der Ausflug nach München wurde zum großen Erlebnis für die Jungen, aber auch für die beiden Erwachsenen. Vater Paul machte sein Versprechen
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