Das Gift der alten Heimat
Chef. Ihr wißt, warum mir daran gelegen ist.«
»Selbstverständlich«, nickte Erna.
»Das gilt auch für dich«, sagte Onkel Johann zu Paul.
Paul, der in Gedanken versunken war, schreckte auf.
»Natürlich.« Er blickte Johann wie aus weiter Ferne an. »Aber ich glaube immer noch, daß ich träume.«
»Wach auf!« lachte Onkel Johann. »Du mußt voll da sein, wenn der Wirbel hier losgeht. Das wird nämlich ganz rasch der Fall sein.«
Und so war es auch. Noch am gleichen Tag gaben sich all die Geschäftsleute, mit denen Johnny Miller verhandelt hatte, Pauls Tür in die Hand. Der größte Bauunternehmer in der ganzen Umgebung fragte an, wann er seine Leute samt Maschinen schicken könne. Paul beschied ihm, daß er doch noch gar keine Baugenehmigung von der Stadt habe. Eine halbe Stunde später stand ein Architekt auf Pauls Schwelle, entsandt vom Bauunternehmer. Was er denn wolle, fragte ihn Paul. Die Pläne anfertigen für das Stadtbauamt, lautete die Antwort.
Die wichtigsten Gespräche hatte Paul mit Hugo Mössle zu führen. Frau Mössle lud Erna zum Tee ein, holte sich aber einen Korb, da Erna auf keinen Fall bei anderen Leuten herumsitzen zu können glaubte, solange Onkel Johann noch unter ihrem Dach weilte und Anspruch auf ihre Betreuung hatte.
Paul hatte in all dem Trubel fast keine Minute Zeit mehr für seinen Onkel, so daß er aus allen Wolken fiel, als Johann nach vier Tagen plötzlich zu ihm sagte: »Paul, ich sehe schon, daß du mit der Sache fertig wirst. Außerdem ist dir deine Frau eine hervorragende Stütze. Ich kann also beruhigt abreisen.«
»Du willst abreisen?« stieß Paul fassungslos hervor.
»Ja.«
»Wann?«
»Morgen.«
»Das lasse ich nicht zu!«
»Wie willst du es denn verhindern?« erwiderte Johann grinsend. »Ich fahre, Paul! Die Zeit ist um, ich habe sowieso überzogen!«
»Sehen wir uns denn wieder?«
»Ganz bestimmt! Denkst du, ich möchte mir kein Bild davon machen, wie der Laden hier gelaufen ist?«
»Erna sagte mir, daß sie dich gestern nachmittag schon vermißt hat. Wo warst du denn? Wieder bei Geschäftsleuten?«
»Nein«, entgegnete ernst Onkel Johann. »Am Grab meiner Eltern und auch der deinen. Ich habe mit allen Zwiesprache gehalten. Die Gräber sind wunderbar in Schuß.«
»Das macht Erna.«
»Sei froh«, lächelte Onkel Johann, »daß ich schon so alt bin. Die würde ich dir sonst noch ausspannen.«
»Und weiß der Teufel«, stieß Paul unwillkürlich hervor, »dir würde das bei der wahrscheinlich sogar gelingen. Sie spricht nur noch von dir.«
»So?«
»Die Jungens übrigens auch.« Paul lachte. »Du hast mir also meine ganze Familie entfremdet.«
Onkel Johann grinste ebenfalls, dann fragte er: »Kannst du mir die beiden heute abend mal auf mein Zimmer schicken?«
»Natürlich«, sagte Paul. »Willi ist jetzt schon von der Schule zurück.«
»Aber Karl nicht vom Geschäft, und ich möchte mit beiden zusammen sprechen.«
Die Unterhaltung mit Onkel Johann wurde dann für die Jungens eine Sensation.
»Karl«, begann Johann das Gespräch mit dem Älteren, »wann wirst du achtzehn?«
»In einem Jahr.«
»Wenn's soweit ist, bekommst du von mir eine Honda oder eine BMW. Du kannst wählen. Oder eine Suzuki oder Yamaha, das ist mir egal. Außerdem zahle ich dir den Führerschein. Voraussetzung zu allem ist, daß du dein Versprechen hältst.«
»Onkel Johann«, stammelte Karl, »ich … ich … natürlich … mein Ehrenwort –«
»Welches Ehrenwort?« unterbrach Willi.
»Das ist eine Sache zwischen deinem Bruder und mir«, sagte Onkel Johann zu ihm und fuhr fort: »Wann wirst du sechzehn?«
»Auch in einem Jahr«, entgegnete Willi.
»Wenn's soweit ist, bekommst du von mir das schönste Moped, das dann auf dem Markt sein wird. Voraussetzung ist, daß deine Leistungen in der Schule nicht nachlassen.«
»Weißt du denn über die Bescheid?« fragte Willi verblüfft.
»Ich habe mich mit deinem Rektor unterhalten«, antwortete Onkel Johann. »Und ich werde das auch in Zukunft noch von Zeit zu Zeit tun.«
»Von Amerika aus?«
»Ja, am Telefon.«
»Aber das kostet dich doch ein wahnsinniges Geld?«
»Falls du hoffen solltest, daß mir das zuviel ist, wirst du eine Enttäuschung erleben«, lachte Onkel Johann.
»Ich werde Klassenbester!« schwor Willi.
Eine Nacht noch – und die Stunde des Abschieds von Rheinstadt brach an. Das nächste Ziel Johanns in seinem Programm war Bochum. Um sich die Sache zu vereinfachen, faßte er den Entschluß, ein Taxi
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