Das Gift der alten Heimat
hatte, wurde keine Zeit mehr verschwendet. Er erledigte zahlreiche Telefongespräche, einige sogar bis nach Amerika, und entwickelte eine umfangreiche Tätigkeit. Er setzte sich mit dem Verwalter zusammen und ließ sich die Bücher vorlegen. Als sich die beiden nach Stunden trennten, lag ein ganz neues Programm vor. Es stand fest, daß sich Gut Waldfels von Grund auf wandeln würde.
Der Baron hatte nach dem Essen nicht der Versuchung widerstehen können, sich ein bißchen langzulegen, war rasch eingeschlafen und wachte Stunden nicht mehr auf. Als er endlich die Augen wieder aufschlug, fiel ihm die dem Onkel versprochene Reitstunde ein. Er mußte jedoch ein zweites Mal feststellen, daß Johann auf dem Gut nicht zu finden war. Der vor Aktivität schier berstende alte Mann hatte sich entschlossen, nach Eibenhain hinüberzufahren.
Das Gespräch, das Miller mit der Baroneß führte, gehörte auch zu dem umwälzenden neuen Programm für Waldfels.
»Machen Sie sich auf allerhand gefaßt«, begann Miller unverzüglich.
»Ich wollte Sie heute schon anrufen, aber Sie waren nicht zu erreichen«, entgegnete Evy. »Hat man Ihnen das gesagt?«
»Ja.«
»Ich sorgte mich um Ihren Neffen. Er war heute nacht total betrunken. Auf solche Leute muß man aufpassen.«
Miller nickte.
»Deshalb war ich mit Trenkler auch in der Stadt, und zwar bei der Niederdeutschen Bank.«
»Ist das nicht Huldrichs Bank?« fragte Evy mit unsicherer Stimme, als ahnte sie nichts Gutes.
»Gewesen!« antwortete Miller hart. »Vor Ihnen sitzt der neue Herr von Waldfels!«
Groß war darauf der Blick, den Evy auf Miller richtete. Sie sagte nichts. Die Kategorie solcher Mitteilungen macht erst mal stumm.
»Der alte wird nach Amerika abgeschoben«, fuhr Miller fort. »Trenkler will den Laden in zwei Jahren wieder in Ordnung bringen.«
»Moment mal«, fand Evy die Sprache wieder. »Das müssen Sie mir schon näher erklären. Sie hatten doch kein Geld? Und jetzt sieht das wieder ganz anders aus. Was stimmt denn nun? Wieso reicht ein Besuch bei der Niederdeutschen Bank aus, daß man sagen kann, man ist der neue Herr von Gut Waldfels?«
»Weil bei der Niederdeutschen Bank die Hauptschulden Huldrichs lagen!«
»Und wo liegen die jetzt?«
»Bei mir.«
Was das hieß, war nicht schwer zu begreifen.
»An Ihrer Mittellosigkeit habe ich ja immer gezweifelt«, sagte Evy v. Eibenhain und fuhr fort. »Dann haben Sie ja nun wirklich alles in der Hand.«
»So ist es«, nickte Miller. »Wenn der Junge nicht spurt, kann ich ihn ganz rasch zur Zwangsversteigerung treiben.«
»Aber das werden Sie nicht tun?«
»Doch – wenn er, wie gesagt, nicht spurt!«
Als die Baroneß schwieg, fuhr Miller fort: »Ich will das Gut erhalten. Dazu muß alles umgekrempelt werden, das Gut selbst und auch derjenige, der auf dem besten Weg war, den Besitz völlig zu ruinieren. Verstehen Sie, Evy, ich habe vor, aus meinem Neffen einen brauchbaren Menschen zu machen, einen Mann, der es verdient, daß ihn die Sonne bescheint. Das geht bei dem nur mit Zwang. Er muß weg von hier!«
»Nach Amerika?«
»Das sagte ich schon.«
»Aber das wird Ihnen nicht gelingen, John.«
»Wieso nicht?«
»Weil er sich weigern wird.«
»Woher wollen Sie das wissen? Bisher hat ihm doch noch niemand davon etwas gesagt?«
»Doch.«
»Wer denn?«
»Ich.«
»Wann?«
»Heute nacht.«
»Und was antwortete er?«
»Daß das für ihn um keinen Preis in Frage kommt.«
Evy verstummte. Ihre Miene war immer trauriger geworden, der Klang ihrer Stimme gleichfalls. Nun saß sie da und blickte leer vor sich hin. Auch Miller schwieg eine Weile.
»Wir beide wissen, was das heißt«, sagte er schließlich.
Evy blieb stumm.
»Die Kugel wird sein Ende sein«, fuhr Miller fort.
Evy war weiterhin unfähig, ein Wort zu äußern. Sie zuckte jedoch hoch, als John sagte: »Es gäbe, glaube ich, nur noch einen Weg, um das zu verhindern …«
»Welchen, John?«
»Dieser Weg hat aber mit seiner Liebe zu Ihnen zu tun, Evy.«
»Sagen Sie schon, was Sie meinen!« stieß sie ungeduldig hervor.
»Sie müßten mit ihm gehen.«
»John!« rief Evy. »Sie sind verrückt! Genauso verrückt wie er!«
»Wieso er?«
»Weil er dasselbe gesagt hat!«
»Na sehen Sie«, meinte John trocken. »Dann werden Sie wohl in den sauren Apfel beißen müssen.«
»Nein!«
»Damit verurteilen Sie ihn zum Tode.«
Tränen schossen Evy in die Augen, und mit kläglicher Stimme sagte sie: »Ich kann doch Eibenhain nicht im Stich
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