Das Gift der alten Heimat
lasen!«
»Ihre Leute sind doch geschult?«
»Trotzdem müssen sie beaufsichtigt werden.«
Darauf schien Miller, dessen Gedankenfolge in alterprobter, raschester Weise ablief, nur gewartet zu haben.
»Ich trete Ihnen Trenkler ab«, sagte er. »Der macht das besser als Sie. Nein«, korrigierte er sich grinsend, »nicht besser, das kann man ja gar nicht, aber genauso gut.«
»Könnten Sie denn so ohne weiteres über ihn verfügen?«
»Er ist mein Mann. Wenn ich ihm sage, was wichtig ist, wird er darauf eingehen.«
»Und was geschieht mit Waldfels?«
»Ich suche mir einen anderen Verwalter – oder«, unterbrach sich John Miller, »ich frage Trenkler, ob er sich nicht zutraut, beide Aufgaben zu bewältigen. Das Kaliber dazu hätte er, scheint mir.«
Die Baroneß fühlte sich hin und her gerissen. Man konnte ihr das ansehen. Sie verfügte bestimmt über ein hohes Maß an Energie, an Selbstbewußtsein und Eigenständigkeit, doch einem Mann wie John Miller gegenüber schienen bei ihr diese Eigenschaften zusammenzuschrumpfen. Sie spürte das und wollte sich innerlich dagegen wehren, war aber schon ziemlich kapitulationsreif. Es war einfach so, daß John Miller sie überrollte. Das war schon vielen starken Männern so ergangen – wie hätte eine schwache Frau sich ihm widersetzen können!
Evy v. Eibenhain wischte sich unsicher über die Stirn.
»Das geht alles so schnell …«, sagte sie.
»Rasche Entschlüsse sind oft die besten, Evy.«
»Sie haben leicht reden! Wie lange sollte das denn dauern?«
»Gar nicht lange«, antwortete Miller. »Es kommt nur darauf an, ihn von hier wegzukriegen. Ist er mal drüben, wird er wahrscheinlich über sich selbst bald den Kopf schütteln, wenn er zurückdenkt an das, was er hier vorhatte. Sie sollten ihm nur die ersten Wochen zur Seite stehen. Glauben Sie, Amerika wird ihn rasch in den Bann schlagen, Evy, Amerika ist faszinierend.« Ganz bewußt setzte John hinzu: »Besonders die Amerikanerinnen!«
»Für die wird er nichts übrig haben«, sagte Evy wegwerfend.
John wiegte den Kopf.
»Ich weiß nicht, Evy …«
»Oder er hat mich nie geliebt!«
»Doch, das hat er sicher, und das tut er auch jetzt noch, aber die Situation drüben ist eine andere als hier«, sagte John. »Hier sind Sie eine einsame Größe, doch in Chicago wimmelt es von Supermädchen.«
»Und Sie glauben, daß er gleich auf die erste reinfällt?«
»Es muß ja nicht die erste sein.«
»Dann auf die zweite oder dritte.«
»Zählen wir sie nicht, Evy«, schlug Miller vor. »Auf welche, spielt doch keine Rolle, nachdem Sie Huldrichs Gefühle für Sie nicht erwidern.«
»Stimmt.«
»Bleiben wir also dabei«, sagte Miller, »daß es sich Ihrerseits nur um die Erfüllung einer rein menschlichen Pflicht handelt, wenn Sie ihn begleiten und dadurch kurze Zeit in der Illusion wiegen, daß Ihr Verhalten Gefühlen entspringt, die den seinen gleichen.«
»Ja«, nickte Evy.
Miller erhob sich.
»Dann werde ich als nächstes mit Trenkler sprechen, um ihn auch auf Eibenhain anzusetzen. Das klappt sicher. Und dann kommt mein Herr Neffe an die Reihe. Es kann sein, daß ich dazu auch Sie brauche, Evy, damit Sie mir helfen, ihn zu bearbeiten.«
Die Baroneß hatte noch etwas auf dem Herzen.
»Falls Trenkler Waldfels und Eibenhain übernimmt – wo soll er wohnen?« fragte sie.
»Wenn Sie das beruhigt – hier!«
»Wie lange?«
»Was soll ich ihnen sagen? Zwei Monate?«
»Mehr!«
»Dann drei«, meinte Miller. »Das reicht sicher. Nach einem Vierteljahr sind sie bestimmt wieder zurück.«
»Nennen Sie ihm keine Frist, John.«
»Keine?«
»Wenn ich schon mal drüben bin, werde ich nicht gleich wieder nach Hause fahren, ohne etwas gesehen zu haben.«
»Recht haben Sie!« sagte John Miller mit Nachdruck. »Reisen Sie herum! Amerika ist faszinierend!«
»Das sagten Sie schon, aber ich werde mich auf Chicago beschränken.«
Das Gespräch mit Gerhard Trenkler nahm den von John Miller erwarteten Verlauf. Es dauerte keine Stunde, und alles war klar. Der Verwalter erklärte sich bereit, die Obhut über beide Güter zu übernehmen und vorübergehend sogar auch nach Eibenhain zu übersiedeln. Er war stolz, zeigen zu können, was in ihm – dem ›alten Gerhard Trenkler‹, wie er sagte – noch steckte. Miller trug ihm auf, Waldfels in keiner Weise zu bevorzugen. Das würde ihm nämlich vielleicht leid tun, weil der Verdacht bestünde, daß am Ende von allem eine direkte Zusammenlegung der zwei Güter erfolgen
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