Das Gift der alten Heimat
verlassen, in dieser Nacht Abschied vom Leben genommen habe. Und falls Sie das beruhigt, John – es ist ganz ausgeschlossen, daß er von allem jetzt noch das geringste weiß. Darauf können Sie Gift nehmen. Er erinnert sich an nichts, ich kenne das von ihm.«
Miller sah den Verwalter nachdenklich an.
»Wenn Sie nur ein bißchen jünger wären«, sagte er, »würde ich Sie sofort zu meinem Privatsekretär ernennen, Gerhard. Aber was passiert, wenn mein Neffe dem Bitz nun auf die Bude rückt und wissen will, was da vor sich gegangen ist?«
»Dann zeigt Bitz ihm die Vollmacht.«
»Und?«
»Die wird der Baron als echt anerkennen müssen. Er kann kein gesteigertes Interesse daran haben, erkennen zu lassen, in welchem Zustand er solche Unterschriften leistet. Glauben Sie das nicht auch?«
»Doch.«
Die beiden hatten noch Zeit zu einer zweiten Tasse Kaffee, die von einem aufmerksamen Kellner rasch gebracht wurde.
»Wissen Sie«, sagte der Verwalter mit ernster Miene, Milch und Zucker in der braunen Brühe verrührend, »mir war natürlich von Anfang an klar, daß mein Handeln nicht korrekt war – streng genommen sogar kriminell. Aber –«
»Kriminell ist übertrieben!« unterbrach Miller.
»Nein, nein, ich mach' mir da nichts vor, John.« Trenkler legte den Löffel auf die Untertasse. »Aber mir ging's um Waldfels. Um diesen herrlichen Besitz. Ihn wollte ich zusammenhalten, als ich sah, daß die Chance dazu gegeben war.«
»Und das ist Ihnen gelungen, Gerhard«, nickte Miller. »Sie hatten also das berühmte edle Motiv, das Sie entlastet. Aber jetzt beginnt erst die richtige Arbeit für Sie.«
»Wieso?« fragte Trenkler.
»Wieso?« wiederholte Miller lachend. »Weil Sie selbstverständlich auf Ihrem Posten bleiben!«
»Nein!« sagte Trenkler.
»Was?« stieß Miller überrascht hervor.
»Nein, John, ich nicht mehr!«
»Warum nicht, zum Teufel?«
»Weil ich Waldfels verlasse.«
»Dazu haben Sie überhaupt keinen Grund!«
»Doch.«
»Und welchen, wenn ich fragen darf?«
»Ich bitte Sie, John!« wunderte sich der Verwalter über Millers Begriffsstutzigkeit. »Nach dem, was geschehen ist, ist doch an eine Zusammenarbeit zwischen dem Baron und mir nicht mehr zu denken. Dem Bitz kann er den Kopf nicht abreißen wollen – aber mir!«
»Wer sagt denn, daß Sie unter ihm arbeiten sollen?«
Trenkler starrte Miller an.
»Retten Sie denn das Gut nicht für ihn?«
»Ich denke nicht daran! Ich werde im Gegenteil dafür sorgen, daß er von Waldfels verschwindet!«
»Wohin? Nach Amerika?«
»Ja«, antwortete Miller. »Ich werde ihn dort unter meine Fittiche nehmen und versuchen, einen ordentlichen Menschen aus ihm zu machen. Wenn mir das gelingt, kann er eines Tages zurückkommen nach Deutschland, meinetwegen sogar nach Waldfels. Wenn nicht, soll er vor die Hunde gehen!«
Trenkler wagte noch nicht an die Perspektive zu glauben, die sich da vor ihm auftat. Zögernd sagte er: »Und in … in der Zwischenzeit …«
Miller half ihm: »In der Zwischenzeit führen Sie das Gut. Als Ihr eigener Herr. Verstehen Sie, Sie haben völlig freie Hand, niemand wird Ihnen dreinreden. Nach zwei Jahren allerdings« – Johns Ton wurde härter – »will ich sehen, daß sich die Situation zum besseren gewendet hat. Sie sagten doch, daß Ihnen dazu zwei Jahre Zeit genügen würden?«
»Ja.«
Miller streckte dem Verwalter die Hand hin.
»Dann schlagen Sie ein, Gerhard, und das Abkommen zwischen uns beiden gilt!«
Es klatschte. Das Geräusch kam vom Einschlagen, zu dem der Verwalter aufgefordert worden war.
»Ich werde Sie nicht enttäuschen, Mister Miller.«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Ab sofort betrachte ich mich als Ihren Mann, Mister Miller.«
»Das freut mich. Gerhard – und sagen Sie nicht plötzlich wieder ständig ›Mister Miller‹ zu mir.«
»Doch!«
»Warum?«
»Weil sich das Verhältnis zwischen uns geändert hat. Sie sind nun mein Boß.«
John grinste.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, wie lang die Leine ist, an der ich Sie gehen lasse.«
»Das spielt keine Rolle, Sie sind der Boß!«
»Typisch deutsch«, grinste Miller verstärkt. »Aber ich darf doch weiter Gerhard zu Ihnen sagen?«
»Aber selbstverständlich, Mister Miller! Ich betrachte das als Ehre!«
»Danke, Gerhard.«
»Bitte, Mister Miller.«
»Ober!« rief John, und der aufmerksame Kellner glitt heran. »Einen Pikkolo bitte, und zwei Gläser.«
Zu Trenkler sagte er: »Um es wenigstens ein bißchen zu begießen.«
Direktor Dr. Bitz
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