Das Gift der Drachen Drachen3
– alle, bis auf den Drachenmeister, der sich bei Sonnenuntergang murmelnd und krampfhaft zuckend in eine der Männerhütten zurückgezogen hatte. Neben mir spielten Savga und ihre Freundinnen Oblan, Wanlen und Runami ein Geschicklichkeitsspiel mit Stöckchen. Wie immer hatte Oblan ihren kleinen Bruder auf dem Schoß. Sie schleppte das Baby überall mit hin und brachte es nur zu ihrer Mutter, wenn es trinken musste. Oblans Mutter war erneut schwanger und litt unter der schrecklichen Roidan-Yin-Übelkeit; deshalb fungierte Oblan als Ersatzmutter.
Die Ältesten des Arbiyesku unterhielten sich leise über vergangene Zeiten. Sie erinnerten sich daran, wie Brutstätte Xxamer Zu einst gewesen war, von mehr als dreimal so vielen Menschen wie jetzt bevölkert. Sie flüsterten die Namen von Neffen und Söhnen, die Xxamer Zu als Erwachsene verlassen hatten und verschwunden waren, statt im Schoß der gesegneten Brutstätte zu bleiben. Sie sprachen von Geschwistern, Tanten und Kindern, die von den ehemaligen Aufsehern in die Sklaverei verkauft worden waren, um die stetig wachsenden Schulden der Brutstätte und die Schulden aus den leichtsinnigen Wetten des Roshu zu bezahlen. Während sie sich unterhielten, hockte ich zusammengesunken in meinem Elend, hasste mich dafür, wie sehr meine Gier nach dem Gift mich schwächte, wie mich schon die Vorstellung erschöpfte, selbst eine Quelle finden zu müssen.
Warum konnte das Leben nicht einfacher sein? Warum immer wieder dieser Unfriede und Aufruhr? So hatte ich mir das Leben nicht vorgestellt, wenn ich von meiner eigenen Brutstätte geträumt hatte. Wie hatte es nur dahin kommen können, dass ich so weit von meinem Ziel entfernt war, obwohl ich doch bekommen hatte, was ich wollte?
Mein Blick glitt zu Tansan hinüber. Sie saß mit ihrem Gebieter Keau und den drei jungen Männern zusammen, die sich immer in ihrer Nähe herumdrückten. Die Jugendlichen beugten sich vor, sprachen angeregt miteinander und gestikulierten in der Luft herum. Sie redeten leise, aber ihr Temperament brach sich ab und zu in einem Ausruf oder einem Fluch Bahn.
»Sieh nur, wie er lächelt«, meinte Savga. Sie sprach von Oblans kleinem Bruder.
Savga zupfte an meinem Ärmel. »Wenn ein Baby so lächelt, liegt das daran, dass die eifersüchtigen Geister es verhöhnt haben, indem sie sagten: ›Deine Mutter ist tot‹, das Baby aber genau weiß, dass sie lügen, weil es täglich an der Brust seiner Mutter trinkt.«
»Ja, ja«, unterbrach Oblan sie. »Und ein Baby schreit nur, weil die eifersüchtigen Geister sagen: ›Dein Vater ist tot‹, und das Baby ihnen glaubt, weil es seinen Vater noch nicht kennt.«
Seid ruhig, hätte ich gern gesagt. Könnt ihr nicht einfach eine Weile still sein?
Aber ich schwieg und beobachtete Tansan weiter.
Sie vertrat ihre Überzeugungen mit Leidenschaft, das verdeutlichte die konzentrierte, intensive Art, mit der sie sprach, das Gewicht, das sie in jedes ihrer Worte legte. Anders als ihre vier Gefährten jedoch äußerte sie ihre Meinung nur selten. Und wenn sie es tat, lösten ihre Bemerkungen stets eine neue Debatte unter ihren Freunden aus.
Ich betrachtete die Männer genauer.
Der jüngste war Piah, ein schlaksiger Fünfzehnjähriger mit einem auffälligen Kehlkopf. Er gestikulierte beim Reden wild herum und spie häufig aus, wenn andere redeten. Alliak war etwa so alt wie ich, achtzehn, und trug seinen unterschwelligen Zorn wie einen Sack Steine auf seinen dunkelhäutigen, gefleckten Schultern. Aus Savgas Plaudereien wusste ich, dass er noch keine Frau zu seiner Roidan Yin erwählt hatte, trotz seines reifen Alters. Der dritte junge Mann war Oblans Vater, Myamyo, ein großspuriger junger Mann mit großen Augen. Seine Haut war so dunkel wie die Oblans. Savga und Runami kicherten immer, wenn er mit ihnen sprach.
Plötzlich versteifte sich Savga neben mir und verstummte. Zwei Djimbi schlenderten auf das Gelände des Arbiyesku. Die beiden Männer tauchten urplötzlich hinter einer Männerhütte auf, aus der Richtung des Zentrums der Brutstätte. Sie schlenderten heran und nickten einigen der Ältesten aus dem Arbiyesku grüßend zu. Die erwiderten den Gruß jedoch nur knapp.
Savga schob ihre Hand in meine. Sie starrte ihre Mutter an, mit geblähten Nasenflügeln und dem eindringlichen Blick eines scheuen Rehs, das im Wind Gefahr wittert.
Tansan murmelte Keau etwas zu. Er wandte den Blick ab und nickte unmerklich. Sie nahm Agawan von ihrer Brust, stand auf und trat mit dem
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