Das Gift der Drachen Drachen3
suchen.
Kurz darauf hörte ich erhitzte Stimmen, die leidenschaftlich diskutierten. Mein Pulsschlag beschleunigte sich. In der Mitte des Hofes loderte ein Lagerfeuer, und ich roch den Rauch von Dungbriketts und den Gestank von fermentierter Maskamilch.
Langsam suchte ich mir den Weg um eine Hütte herum und spähte vorsichtig zum Mittelpunkt des Hofs der Gerber.
Dort hockten junge Männer auf ihren Hacken um ein Lagerfeuer herum oder saßen auf umgekippten Fässern und Urnen. Am Rand der so Versammelten saßen die Nerifruku – gebeugte, runzlige alte Weiber, Männer mit eingefallener Brust, junge Leute mit Schmerbäuchen, Väter, stillende Mütter -, alle mit grotesken Narben auf den Wangen. An diesen Narben erkannte ich, dass sie zu den Nerifruku gehörten – die schwarzen Pocken sind unter Gerbern sehr verbreitet. Wer diese Seuche überlebt, ist für den Rest seines Lebens entstellt und kann die Häute selbst völlig verwester Tiere bearbeiten, ohne Gefahr zu laufen, sich erneut anzustecken. Vielleicht waren es diese Vertrautheit mit dem Tod und die Hässlichkeit der Überlebenden dieser Seuche, die den Clan der Gerber von Xxamer Zu so mutig machten, dass er als Gastgeber für … für was auch immer fungierte. Es musste sich um etwas Gefährliches, Finsteres handeln, dessen war ich mir sicher.
Obwohl vielleicht nur die eigene Angst meine Wahrnehmung verzerrte. Vielleicht war diese Versammlung auf dem Gelände der Gerber ja ganz harmlos, eine bloße Ablenkung davon, dass in Wirklichkeit die Talente der Gerber in der verarmten Brutstätte von Xxamer Zu verschwendet waren. Denn diese Brut brauchte die Gerber hauptsächlich dafür, die Salzpfannen zu bearbeiten. Die Bayen importierten lieber parfümiertes Leder aus der Hauptstadt an der Küste.
Talente sind wie zerquetschte Trauben. Verwendet man sie klug, wird daraus Wein; lässt man sie brachliegen, werden sie so scharf und beißend wie Essig. Jeder braucht ein würdiges Ziel, um sich würdig zu verhalten.
Ein birnenförmiges Maska-Trinkgefäß wurde herumgereicht. Frauen und Männer tranken aus dem langen Metallrohr, das aus dem Gefäß herausragte, und der Geruch des fermentierten Getränks durchzog die Luft wie der Gestank saurer Milch.
Ich beobachtete, wie Tansan und ihre Gefährten sich zu der Gruppe gesellten. Sie setzten sich nicht bescheiden an den Rand. Nein. Tansan ging selbstbewusst zur Mitte des Kreises, wo man ihr Platz machte, auch wenn ich einige Männer knurren hörte und andere ihr gereizte Blicke zuwarfen.
Von meinem Standort aus hatte ich keinen guten Blick auf das Geschehen, also kroch ich zurück durch das Dunkel, bis ich einen leeren Holzeimer fand, mit dem ich zu meinem Beobachtungspunkt zurückkehrte. Dort kletterte ich vorsichtig auf den Eimer.
Gerade sprach ein junger Mann mit einem Band aus Jute um die Stirn. »… sollte die Myazedo von den Hügeln rufen. Es ist Zeit. Es ist längst überfällig.«
Myazedo. Das mir unbekannte Wort, mit dem Savga ihre Mutter beschrieben hatte.
»Unüberlegte Worte, Shwe«, fuhr ein Jugendlicher mit mächtig breiter Brust ihn an. »Wir müssen uns erst der Unterstützung unserer Leute vergewissern …«
»Wir müssen jetzt zuschlagen, bevor der neue Vorsteher eingesetzt ist. Wir können nicht länger warten!«
»Wir sind noch nicht gut genug organisiert, um die Brutstätte halten zu können. Der Tempel wird die Bluthunde des Imperators schicken, und die werden uns die Eingeweide herausreißen.«
»Wann werden wir denn jemals gegen den Tempel bestehen können?«
»Wenn wir die Wahl haben«, warf ein junger Mann ein, der neben Tansan saß. Ich erkannte in ihm einen der beiden Besucher, die Tansan vom Gelände geführt hatten. Hatte er nach Gift gerochen? Oder hatte ich es mir nur eingebildet?
Ich beugte mich vor, um seine Augen erkennen zu können und vielleicht die verräterischen Zeichen des Giftes in ihnen. Dabei wäre ich fast von meinem Eimer gefallen.
»Und diese Wahl werden wir nur haben, wenn wir unser eigenes Land besitzen«, fuhr der junge Mann neben Tansan fort. »Wir haben eine Wahl, wenn wir unsere eigenen Krankenstationen haben und einen Ort, wo wir die alten Sitten neben den neuen pflegen können. Eine Brutstätte ist wie Blut und Adern für den Leib des Tempels. Solange wir in diesem Blut schwimmen, verfügen wir nur über sehr wenig Alternativen.«
»Wir sollen unser Land verlassen?«, fragte der Jüngling mit der breiten Brust. »Irgendwohin reisen und einen Weiler der
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