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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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inne, als er es gerade geschafft hat. Etwas hat sich verändert. Ein Geräusch nähert sich.
    Irgendwo da draußen fährt ein Wagen.
    Der Junge weiß, was das bedeutet.
    Der Mann kommt zurück.

     
    Alban versuchte, seine Gedanken abzuschalten. Nur im Hier und Jetzt zu leben. Einfach zu genießen. Simone hatte ihm diese Fähigkeit schon oft abgesprochen. Ihm vorgeworfen, ein reiner Kopfmensch zu sein.
    Wie lange bin ich nicht im Konzert gewesen, dachte er. Ein Jahr? Oder zwei? Langsam schlenderte Alban das lange Foyer entlang in Richtung des Saales. Sogar den Mann, der hier Brezeln verkaufte, gab es noch.
    Alban zeigte die Karte vor, betrat den Saal und nahm seinen Platz ein. Auf der Bühne warteten die Pulte auf die Musiker. Die Beethovenhalle war von einer Klangwolke erfüllt, zusammengesetzt aus den vielen Gesprächen, den Begrüßungen der Zuschauer.
    Diesen Moment der gespannten Erwartung, der leichten Nervosität, bevor ein Konzert begann, hatte er immer geliebt.
    Und plötzlich traf es ihn wie ein Hammerschlag.
    Wie sehr er Lea vermisste! Vor allem hier! Nicht wenn er zu Hause CDs hörte. Hier im Konzert.
    Das war der Grund, warum er es so lange vermieden hatte, hierherzukommen. Es war ihm unmöglich, ein Konzert allein zu genießen. Die überwältigende Musik war etwas, was man teilen musste. Wer ein Konzert allein hörte und nicht die Gegenwart eines anderen neben sich spürte, mit dem er über das Erlebnis sprechen konnte, war hinterher doppelt einsam.
    Und dann suchte man Zuflucht. Man musste die Musik rationalisieren. Sie beschreiben, zerlegen, in Schubladen zwängen …
    Der Gedanke beschäftigte ihn so sehr, dass er kaum mitbekam, wie die Orchestermitglieder die Bühne betraten und Platz nahmen. Mechanisch fiel er in den Beifall ein, mit dem das Publikum die Musiker begrüßte. Schließlich kam der Dirigent, ein Gast aus England. Er verbeugte sich, und der Applaus nahm zu.
    Alban war noch immer den Qualen ausgeliefert, die plötzlich über ihn hereingebrochen waren. Ob er Simone einmal mit in ein Sinfoniekonzert nehmen konnte? Ob ihr so etwas gefiel? Oder ob sie nur so tun würde – aus Mitleid?
    Nein, das war ja noch schlimmer, als allein ins Konzert zu gehen.
    Die »Hebriden-Ouvertüre« begann. Ein romantisches, stimmungsvolles Tongemälde, mit dem Felix Mendelssohn Bartholdy die wilde Landschaft der schottischen Inseln musikalisch eingefangen hatte.
    Wenn man nicht wusste, dass es um die Hebriden ging, könnte man das Stück auch für eine Beschreibung der Rheinlandschaft halten, dachte Alban.
    Das würde Simone vielleicht nachvollziehen können. Simone würde sich bestimmt für diese Musik interessieren. Allerdings würden sie natürlich niemals die wortlos funktionierende Vertrautheit erreichen, die ihn mit Lea verbunden hatte.
    Simone … Sie vermied konsequent jede engere Beziehung zu einem Mann. Manchmal hatte sie Verabredungen. Wie am letzten Wochenende, wo sie sich ganz unkompliziert mit Peter Jung nach Köln aufgemacht hatte. Wie einfach das unter den jungen Leuten ging. Sie trafen sich, trennten sich, gingen dann wieder ihrer Wege.
    Wo war Simone heute? Ach ja, im Kino. Dieser Musikfilm …
    Alban hatte über »Die Kinder des Monsieur Mathieu« gelesen. Eigenartig, dass sie dort hinging. Der Streifen entsprach gar nicht ihrem Geschmack.
    Aber woher wusste er das überhaupt so genau?
    Alban gab sich eine Weile der Musik hin und verfiel in einen angenehmen Dämmerzustand. Alle Gedanken schienen ihn gleichzeitig zu umkreisen, zu überlagern, sich zu vermischen.
    Die dramatische Landschaft. Die Kinder, die einen Chor gründeten …
    Alban hatte Musik aus dem Film gehört. Die CD mit der Filmmusik war in einem der Pakete gewesen, und er hatte kurz hineingehört. Ein Knabenchor. Voller hoher Stimmen. Metallisch. Ein interessanter, schöner Klang.
    Er dachte an die Matthäuspassion, die hier in der Beethovenhalle mit einem italienischen Kinderchor aufgeführt worden war. Dieser Chor hatte die Choräle gesungen. Alban wusste, dass das einen faszinierenden Effekt ergab. Die Melodien der Oberstimme strahlten dann in einem ganz besonderen Glanz. Die Stimmen von Kindern, besonders von Knaben, besaßen einen ganz eigenen Zauber.
    Die »Hebriden-Ouvertüre« durchlief mehrere dramatische Steigerungen und versickerte dann leise. Applaus brandete auf.
    Alban nahm das alles wahr, klatschte mit, doch er hing immer noch seinen Gedanken nach.
    Da war etwas … eine Ahnung … eine Spur.
    Was hatte ihn

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