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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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dachte Alban.
    Er öffnete den Kühlschrank, nahm eine Flasche Mineralwasser heraus und holte sich ein Glas aus dem Hängeschrank.
    »Jetzt erzähl doch schon.«
    Sie setzten sich an den Küchentisch, und Alban berichtete, wie er den Vormittag verbracht hatte.
    »Hoffentlich beschützt mich das Schicksal vor so einem Anwalt – falls ich jemals vor Gericht muss.« Simone dachte einen Moment nach und sagte dann: »Du musst in Dr. Jochs Wohnung. Da führt kein Weg dran vorbei. Aber das muss man professionell machen.«
    Alban lächelte gequält. »Professionell, soso. Was soll das denn heißen?«
    »In den Krimis im Fernsehen oder in Büchern legen sich professionelle Detektive immer eine Legende zu.«
    »Eine was?«
    »Eine Legende. Sie tun so, als wären sie ein Verwandter oder ein Freund oder der Stromableser.« Simone schnippte mit dem Finger. »Das ist doch eine Superidee. Du gehst noch mal als Gasableser hin. Vielleicht hat ja einer der Nachbarn einen Schlüssel. Und schwupps, bist du drin.«
    Alban schüttelte den Kopf. »Abgesehen davon, dass sich die Zähler meistens im Keller befinden und ich nicht gerade wie einer von der Energieversorgung aussehe: Was glaubst du, soll ich dann in der Wohnung tun? Wer auch immer mir da aufschließt, wird doch sehen, was ich mache. Und dabei kann ich ja schlecht nach Hinweisen suchen. Nein. Ich werde heute Abend erst mal Kessler fragen, ob die Polizei was über Jochs Reiseziele herausgefunden hat. Vielleicht hat ja auch der Anwalt schon mit seinem Mandanten gesprochen.«
    Alban ging hinauf in sein Arbeitszimmer, wählte Dr. Schneiders Nummer, aber die Vorzimmerdame erklärte ihm, dass ihr Chef nicht da sei.
    »War er schon in Rheinbach bei Herrn Zimmermann?«, fragte Alban.
    »Ich glaube nicht. Er wird Sie anrufen.«
    Alban bedankte sich seufzend und steckte das Mobilteil in die Station zurück. Dann legte er seinen Geigenkasten auf den Sessel, holte die Violine hervor und begann sie zu stimmen. Kaum hatte er zum ersten Mal prüfend über die Saiten gestrichen, wurde wie von Geisterhand die Tür aufgedrückt. Alban war sich gar nicht bewusst gewesen, dass er sie nur angelehnt hatte. Zerberus lugte ins Zimmer, kam herein und sprang auf die Fensterbank.
    Alban hatte auf dem Nachhauseweg an einem Copyshop gehalten und Jochs Partitur für das Musizieren heute Abend vervielfältigt. Es war sicher nicht verkehrt, die Parts vorher einmal durchzugehen. Er legte einen Stapel Kopien auf das Pult und begann. Bei den gestoßenen Akkorden am Anfang hatte Alban nur einzelne Töne in der mittleren Lage zu wiederholen. Ein Kinderspiel. Danach kamen einige rhythmisch abwechslungsreichere Figuren, die aber über die Anforderungen an ein Schülerorchester nicht hinausgingen. Er wunderte sich über so manche merkwürdige Wendung. Es gab Stellen, an denen er eigentlich eine andere Setzweise erwartet hätte. Violine eins und Violine zwei spielten plötzlich einzelne Motive vertauscht, was gegen die Regeln der Stimmführung verstieß. Alban wusste natürlich, dass viele Komponisten diese Regeln bewusst brachen, aber auf die Weise, wie es in der Partitur stand, spielte es sich etwas schwerer – und das völlig unnötig.
    Alban ließ die Geige sinken. Es gab nur eine Erklärung: Dem Menschen, der dieses Stück geschrieben hatte, fehlte Erfahrung mit Streichinstrumenten. Komponisten mussten während ihres Studiums alle Instrumente des Orchesters zumindest in der Theorie erlernen. Sie mussten wissen, was ein Instrument konnte, wie man es am besten einsetzte und welche Wirkung man damit erzielte. Der Streicherapparat, die Basis eines jeden klassischen Orchesters, war dabei gewissermaßen die Grundstufe. Jeder, der auch nur ein Semester an einer Musikhochschule war und darauf hinarbeitete, Komponist zu werden, konnte einen einfachen Streichersatz schreiben. Und jeder hätte die Aufgabenstellung, diese Arienbegleitung für vier Streicher zu schreiben, bewältigt. Jeder, der die fundamentalen Grundlagen verstanden hatte.
    Vielleicht hat Gräber doch recht, dachte Alban. Das war kein bedeutender Meister, der das geschrieben hat. Eher ein ungeformter, unausgebildeter Komponist. Jemand, der vielleicht Talent besaß, aber das Handwerk nicht gelernt hatte …
    Die Zeit bis in den späten Nachmittag verbrachte Alban mit seinen CDs. Als die Uhr auf sieben zuging, wuchs wie üblich seine Nervosität. Hektisch wanderte er zwischen seinem Arbeitszimmer und der Küche hin und her. Als es endlich klingelte, war

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