Das Gift der Engel
Schläuche, die aus der Grube herausführten und weiter entfernt in einem Kanaldeckel verschwanden.
»Ich hab neulich mit dem Bagger die Wasserleitung abgerissen. Beim Ausschachten. Das hat ‘ne Menge Ärger gegeben. Ich konnte nichts dafür. Das war nur, weil der Chef die Pläne nicht richtig gelesen hat. Jedenfalls ist der ganze Zeitplan durcheinandergekommen.«
»Ist Ihr Chef heute auch hier?«
Der Mann runzelte die Stirn. »Sie sind doch nicht von der Polizei?«
»Ach was.« Alban versuchte harmlos zu wirken. »Wie kommen Sie denn darauf? Ich gehe hier nur ein bisschen spazieren, und eben fiel mir ein, dass das die Baustelle ist, über die in der Zeitung berichtet wurde. Krimis gibt’s im Fernsehen ja genug. Selten, dass mal einer vor der Haustür passiert.«
Der Mann nickte, wirkte aber immer noch unsicher.
»Quatsch nicht! Arbeite lieber«, rief einer seiner Kollegen herüber. Der Arbeiter machte eine wegwerfende Handbewegung, stapfte zur Grube, ging die Rampe hinunter und steuerte den kleinen Bagger an.
Alban folgte dem Gehsteig bis zu dem Haus, in dem sich Zimmermanns Wohnung befand. Der Name stand auf dem obersten Klingelschild. Unschlüssig blieb Alban eine Weile vor dem Haus stehen. Dann ging er langsam zurück.
Die Ausrede, einen Spaziergang zu machen, hatte ihn auf den Gedanken gebracht, tatsächlich ein paar Schritte zu gehen. Er ließ den Volvo stehen und folgte der Lotharstraße, bis sie Sternenburgstraße hieß. Hinter der Post bog er in die Kurfürstenstraße ein, und kurz darauf öffnete sich der Blick auf die Rückseite des Poppelsdorfer Schlosses.
Die Straßenflucht mit dem breiten Rasenstreifen in der Mitte, die schnurgerade auf das Schloss zulief, zeigte sich nicht von ihrer schönsten Seite. Die Wolken hingen tief, die klassizistischen Fassaden, die zu beiden Seiten die Allee säumten, wirkten eher düster als herrschaftlich. Alban erinnerte sich, dass er hier manchmal mit Lea spazieren gegangen war – im Sommer, als die Wiesen von Studenten bevölkert gewesen waren. Jetzt waren nur ein paar vermummte Gestalten zu sehen, die sich in ihre Mäntel duckten.
Jochs Adresse lag vom Schloss aus gesehen auf der linken Seite. Das Haus war weiß und wirkte wie frisch gestrichen. In der Mitte der Fassade ragte ein Erker hervor, von Säulen getragen.
Alban drückte die Klinke einer schmiedeeisernen Tür und gelangte durch einen winzigen Vorhof zum Eingang. Die Namen an den Klingeln waren nicht wie bei Zimmermanns Haus primitiv mit Filzstift geschrieben, sondern nobel in glänzendes Messing graviert. Die Wohnung von Dr. med. Joch, wie es dort in schwungvollen, einer edlen Handschrift nachempfundenen Buchstaben hieß, befand sich im zweiten Stock.
Alban ließ seinen Blick eine Weile auf dem Schild ruhen. Er wäre gern einmal durch Jochs Wohnung gegangen. Es konnte gut sein, dass er dort einen Hinweis auf einen Besuch in einer Bibliothek oder einem Archiv fand. Auch wenn Zimmermann die Wohnung ausgeräumt haben sollte – alles würde er sicher nicht weggeschafft haben.
Hatte Joch eigentlich ein Auto besessen? Gab es darin irgendwelche Hinweise?
Alban würde mit Kessler sprechen müssen. Ob es wirklich unmöglich war, kurz in Jochs Wohnung gelassen zu werden? Vielleicht wenn ein Beamter dabei war?
Alban kehrte auf die schmale Straße zurück, überquerte sie und gelangte auf den Gehweg, der, von weißen Bänken und den Alleebäumen gesäumt, hinunter in die Stadt führte. Er drehte sich um und betrachtete das Haus noch einmal. Sollte er bei einem der Nachbarn klingeln? Was sollte er sagen?
Am besten die Wahrheit, dachte Alban. Dass er noch Noten von Herrn Joch habe …
Die Haustür öffnete sich. Eine junge Frau in hellem, elegantem Mantel trat heraus, blickte nach oben, als ob sie schauen wollte, ob es regnen würde. Auf dem Gehweg angekommen, blieb sie stehen und sah nervös auf die Uhr.
Alban näherte sich in gemessenem Tempo.
»Entschuldigen Sie«, sagte er. »Wohnen Sie in diesem Haus?«
Die Frau sah auf; ihr Blick war prüfend. Alban war eine seriöse Erscheinung und hielt der Musterung stand.
»Ja, wieso?«
»Mein Name ist Alban. Ich bin ein Bekannter von Herrn Dr. Joch. Kannten Sie ihn?«
»Nur vom Sehen.«
Die Frau sah links und rechts die Straße entlang.
»Ich habe noch ein paar CDs, die mir Herr Joch ausgeliehen hat.« Alban fand, dass diese Version glaubhafter wirkte, als wenn er etwas von der Partitur gesagt hätte. »Und ich zerbreche mir den Kopf, wem ich sie
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