Das Gift der Engel
es genau neunzehn Uhr acht.
Vor der Tür stand Stollmann, diesmal jedoch nicht mit einer, sondern mit zwei Damen im Schlepptau: mit Fiona Bertram und ihrer Schwester Frederike.
»Es freut mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte die Sängerin, sichtlich weniger schüchtern als ihre Schwester. »Ich hätte nicht erwartet, dass der kleine Hinweis auf mein Konzert in Köln gleich dazu führen würde, dass Sie mich zu sich nach Hause einladen.«
»Die Freude ist ganz meinerseits«, sagte Alban. »Sie ahnen gar nicht, welchen Gefallen Sie mir damit tun.«
Frederike war etwas größer und schlanker als Fiona, doch die Ähnlichkeit war unverkennbar. Beide besaßen die gleichen vollen Lippen und das gleiche längliche Gesicht. Frederikes Haar war heller, nicht ganz so rot wie Fionas, eher blond. Alban versuchte zu schätzen, welche der beiden die ältere war. Er tippte auf die Sängerin. Der Unterschied mochte zwei, drei Jahre ausmachen.
Stollmann hatte sich schon seines Mantels entledigt; sein Geigenkasten stand in der Diele. Alban sah ihn durch die Küchentür mit Simone sprechen.
»Sind wir die Einzigen, die Bescheid wissen?«, fragte Fiona Alban leise.
Er nickte.
»Und wann lüften Sie das Geheimnis?«
»Wenn alle eingetroffen sind.« Er hoffte, dass es bei Kessler diesmal keine Verspätung geben würde. »Darf ich Ihnen in der Zwischenzeit etwas anbieten? Ein Glas Rotwein vielleicht?«
»Sehr gerne«, sagte Frederike, und auch Fiona nickte. Als Alban in die Küche hinüberging, bekam er aus den Augenwinkeln mit, wie sich die beiden Schwestern kurz zulächelten.
»Ich habe den gestrigen Tag nur damit verbracht, meinen Part zu üben«, verkündete Stollmann stolz. »Das wird heute laufen wie geschmiert.«
»Ja, üben kann wahre Wunder wirken«, bestätigte Alban und wechselte mit den beiden Schwestern einen verschwörerischen Blick. Mit geübten Griffen öffnete er eine Weinflasche.
Als alle versorgt waren, bat Alban seine Gäste hinauf ins Arbeitszimmer. Die kleine Gesellschaft setzte sich in Bewegung, geriet aber ins Stocken, als Frederike unterwegs Zerberus begegnete. Sie strich ihm sanft über das Köpfchen. Er ließ es sich gefallen und schnurrte laut.
»Ich liebe Katzen über alles«, erklärte sie. »Ich habe selbst eine.«
Die Türklingel ertönte. Es war Kessler. Ein Glück, dachte Alban.
»Guten Abend, Nikolaus«, rief der Hauptkommissar aufgeräumt. »Eine gute Idee, einen außerplanmäßigen Musizierabend einzuberufen. Nach all dem Stress im Präsidium genau das Richtige. Und weißt du was? Ich habe meine Überstunden genommen und richtig hart am Beethoven geübt.«
»Tatsächlich?«
»Na klar, ich denke, du willst doch auch, dass wir endlich mal einen Auftritt hinkriegen, oder? Und von nichts kommt nichts.«
»Das siehst du genau richtig, Gerhard.«
»Meine Frau war schon sauer und hat behauptet, ich sei mit dem Cello verheiratet, aber das war mir egal. Ich habe mich nach Dienstschluss drei geschlagene Stunden in unser Schlafzimmer zurückgezogen und bin unser Quartett durchgegangen. Zwischendurch habe ich mir nach Jahren wieder mal eine Suite von Bach vorgenommen. Am Anfang wollten ja die Finger nicht so richtig, aber dann … Herrlich, sage ich dir. Es gibt keine bessere Entspannung. Und es gibt Dinge, die man nicht verlernt. Gut zu wissen.«
Er hängte den Mantel in die Garderobe und begrüßte Simone. »Wo sind die anderen?«, fragte er dann.
»Bereits oben«, sagte Alban.
»Dann will ich sie nicht ein weiteres Mal warten lassen.«
Kessler erklomm mit seinem Cellokasten die Treppe. Alban kam hinter ihm her, nicht ohne Simone kurz zuzuzwinkern.
Oben angekommen, stellte Alban Kessler Frederike Bertram vor, und im Gegensatz zu Stollmann wollte Kessler gleich wissen, was ihm denn die Ehre ihrer Gegenwart verschaffte. Alban staunte über die Ausdrucksweise: So etwas hatte er bei dem Hauptkommissar noch nie erlebt. »Ich werde es gleich bekannt geben. Aber kannst du es dir nicht denken?«
Kessler machte ein verwundertes Gesicht, sagte aber nichts. Alle Quartettmitglieder außer Alban packten ihre Instrumente aus; seine Geige lag schon auf dem Stuhl bereit. So konnte er sich Frederike zuwenden, die an einem der riesigen Regale stand.
»So viele Schallplatten und CDs! Das ist ja wie im Paradies hier, Herr Alban.«
»Na ja, es sammelt sich schon einiges an.«
Sie nickte und nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas. »Während Sie einstimmen, würde ich gern schon mal
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