Das Gift der Engel
einer Opernbühne. Der Ausschnitt war nur kurz.« Er hatte den Inhalt des Clips heute Nacht mehr als einmal beschrieben. Aber jetzt tat es ihm gut, alles noch einmal in Worte zu fassen. Als müsse er sich selbst beweisen, dass es keine Einbildung war.
»Eigentlich kann das Video nur bei einer Opernaufführung oder bei einer Generalprobe entstanden sein. Normale Proben finden ohne Kostüme statt.«
Das Geschirr stand auf dem Tisch. Simone setzte sich und sah Alban nachdenklich an. »Das hieße aber …«
»… die Oper, aus der das Stück stammt, muss irgendwo schon mal aufgeführt worden sein.«
»Und wenn eine wiederentdeckte Oper aufgeführt wird …«
»… dann kriege ich das normalerweise mit.«
»Was wiederum bedeutet …«
Alban setzte sich ebenfalls und sah Simone enthusiastisch an. »… die Aufführung steht noch bevor. Und jemand macht ein Riesengeheimnis daraus.«
Beim Frühstück setzten sie die Spekulationen fort. Alban wandte ein, dass die Theorie von der unbekannten Oper zwar spannend war, aber einen gewaltigen Haken besaß.
»Man kann mit einer neu aufgefundenen Oper nicht wirklich reich werden«, sagte er, »es sei denn, man hängt das Projekt an die ganz große Glocke. Deswegen verstehe ich nicht, was diese Geheimnistuerei soll. Entweder man hat die verschollene Partitur gefunden und bereitet eine Aufführung und vielleicht eine Aufnahme vor, dann wird man eine gewisse Bekanntheit erreichen. Oder man hat die Sache noch nicht richtig an Land gezogen …«
»Weil vielleicht noch Teile der Noten fehlen?«, ergänzte Simone. »Das könnte doch sein. Jemand braucht noch einen Teil, der ihm fehlt.«
»Dabei kann es sich aber nicht um diese Arie handeln. Denn die ist immerhin auf dem Video.«
»Vielleicht gibt es ja zwei Parteien, die um das Aufführungsmaterial streiten. Und eine Seite hat diese Arie verschwinden lassen. Sie landete dann in dem Antiquariat und kam in die Hände von Dagmar Dennekamp.« Simone nahm einen Schluck Kaffee. »Und abgesehen davon. Auch wenn man mit so einer Oper nicht reich wird, kann ich mir schon vorstellen, dass jemand dafür ein Verbrechen begeht. Du hast doch selbst so oft erzählt, dass die Liebe zur klassischen Musik eine Leidenschaft ist. Und Leidenschaft ist ein Mordmotiv, oder?«
Alban nickte. Es gab Dirigenten, die für eine Partitur, in die sie sich verliebt hatten, durchaus morden würden. Und nicht nur Dirigenten. Auch Sänger. Oder Sängerinnen …
Frau Bertram hatte gesagt, die Arie sei sehr schwer zu singen. Und wenn es nun eine Sängerin gab, die dazu doch in der Lage war? Die diese Arie vielleicht zu ihrem Standardstück machen wollte? Damit ganz groß rauskommen wollte? Im Konzert, bei den Plattenfirmen?
Er ging hinauf in seine Etage, duschte, zog sich an und griff wieder einmal zum Telefon. Er musste Dr. Schneider über die neuesten Entwicklungen informieren. Und Dennekamp hatte sich immer noch nicht mit den Adressen gemeldet.
Alban versuchte es zuerst im Büro des Anwalts, dort meldete sich jedoch nur der Anrufbeantworter. Natürlich – es war Sonntag. Normale Menschen hatten heute frei. Normale Menschen wie Dr. Schneider. Oder Kessler.
Alban tat es leid, dass der Kommissar verärgert war. Trotz aller Auseinandersetzungen, die diese Geschichte mit sich brachte, schätzte er ihn – nicht zuletzt als Mitglied seines Streichquartetts. Das auch bald wieder proben wird, fiel Alban ein. Genauer gesagt morgen.
Er nahm sich das Bonner Telefonbuch vor, um Dr. Schneiders Privatnummer zu suchen. Thomas Schneiders gab es eine ganze Menge, aber es gab nur einen, der einen Doktortitel hatte. Laut Eintragung wohnte er in Beuel.
Alban wählte, und Dr. Schneider meldete sich sofort.
»Hier ist Alban. Entschuldigen Sie die Störung.«
»Kein Problem. Was gibt es Neues?«
Er berichtete, was geschehen war.
»Unglaublich. Und der Beweis ist also hin.«
»Haben Sie noch mal mit Herrn Zimmermann sprechen können?«
»Der Name Dagmar Dennekamp sagt ihm nichts. Er ist auch sicher, dass Herr Dr. Joch ihn nie erwähnt hat. Dasselbe gilt für Frau von Schaumburg und Herrn Bernardi.«
Alban hatte es fast erwartet. »Dann wissen wir wenigstens, woran wir sind«, sagte er.
»Ich würde sagen, wir sind am Ende.«
»Keineswegs.«
»Aber was wollen Sie denn jetzt noch unternehmen? Die CD ist nicht mehr da. Sie haben nicht die geringste Spur dieses Eindringlings.«
»Immerhin habe ich diese CD in der Hand gehabt, und ich habe gesehen und
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