Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)
vor. Zögernd ging ich zwischen den dunklen Umrissen hindurch zum Kamin. Links stand eine mit einem Tuch verhüllte hölzerne Staffelei, darunter ein Bild und daneben ein niedriges Tischchen mit Gläsern und Pinseln sowie einer Palette, die fast vollständig mit dicken Farbklecksen beschmiert war. Ich nahm einen Pinsel in die Hand und sah ihn genauer an. Schweinsborsten, dachte ich. Schweinsborsten für Lady Mandibles Hobby. Denn für mich gab es keinen Zweifel, dass ich mich hier in ihrem Zimmer befand. Ich war schon drauf und dran, das Tuch von dem Bild zu ziehen, aber im letzten Moment hielt ich inne. Wenn es eins von der gleichen Art wie die im Gang war, hatte ich wenig Verlangen danach, es zu sehen.
Plötzlich hörte ich ein Seufzen. Ich war nicht allein!
Langsam drehte ich mich nach dem Geräusch um und sah erst jetzt, dass auf einem niedrigen Diwan jemand lag. Ich riss die Augen auf, starr vor Schreck, aber die Gestalt regte sich nicht. Ich duckte mich und schlich hinter den Möbelstücken näher an das Sofa heran. Jetzt konnte ich erkennen, dass es ein Mann war. Sein Kopf ruhte auf einem Kissen, seine Augen waren geschlossen. Er trug kein Hemd und seine weiße Brust schimmerte im Mondlicht geradezu.
Es war Gerulphus. Er schien zu schlafen. Er atmete tief, seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig, und als ich mich noch weiter vorwagte, sah ich, dass er lauter große dunkle Narben auf der Brust hatte. Sie waren dick und prall und – kaum zu glauben – sie bewegten sich!
Denn diese Narben waren lebendig!
»Tartari flammis!«,
flüsterte ich und musste gegen den Brechreiz ankämpfen: Gerulphus’ Brust und Bauch waren von aufgedunsenen schwarzen Blutegeln übersät!
Was ist das für eine absonderliche Sitte?, dachte ich und wandte mich ab. Nichts wie weg hier. Aber zu meinem noch größeren Entsetzen hörte ich in diesem Augenblick Schritte, eine Hand an der Tür und dann eine Stimme, die mir das Blut gefrieren ließ.
»Gerulphus? Bist du da?«
Ich duckte mich hastig hinter einen Sessel und hoffte, mein wild pochendes Herz werde mich nicht verraten. Dann sah ich Lady Mandible eintreten.
Sie war ganz in Schwarz, um ihre Schultern lag eine lange, über den Rücken hängende Boa aus Straußenfedern. Weite Glockenärmel bedeckten ihre Hände bis fast zu den Fingerspitzen. Als sie sich bewegte, konnte ich das leise Rascheln ihres Kleides hören. Ihre Lippen wirkten in diesem Licht tiefdunkelrot. Sie ging direkt auf Gerulphus zu und stieß ihn mit einem beringten Finger an. Der Diener schreckte sichtlich zusammen und schlug die Augen auf.
»Fertig?«
Gerulphus blickte auf seine Brust und nickte langsam. Da fuhr Lady Mandible mit ihren langen Fingernägeln zwischen die Blutegel und Gerulphus’ Brust und pflückte die vollgesaugten Tiere eins nach dem andern von seiner Haut. Lächelnd und mit leicht geöffnetem Mund ging sie dieser grausigen Tätigkeit nach – ich bin überzeugt, dass sie dabei jeden Augenblick genoss. Die Blutegel – ich zählte insgesamt zwanzig – wurden in ein großes Glasgefäß auf dem Tisch neben dem Sofa gelegt. Kein Wunder, dass Gerulphus so blass aussieht, dachte ich, er muss ja fast blutleer sein.
»Ausgezeichnet«, schnurrte Lady Mandible. »Dann triff die nötigen Vorkehrungen, damit ich das Blut morgen verwenden kann.« Damit rauschte sie aus dem Zimmer.
Gerulphus stand auf und zog mit schwerfälligen Bewegungen sein Hemd an. Aus seinen Wunden sickerte Blut und der weiße Stoff war bald rot befleckt, aber er schien es nicht zu bemerken. Zu meiner großen Erleichterung verließ er wenige Minuten später ebenfalls das Zimmer, so musste ich wenigstens nicht mit ansehen, welche weiteren Abscheulichkeiten mit diesen »Vorkehrungen« verbunden sein mochten. Endlich fühlte ich mich sicher genug, um mich aus meinem Versteck zu wagen. Ich ging noch einmal zur Staffelei und zog langsam das Tuch herunter. Aber ich sah nicht die einäugigen Monster und die Teufel mit der gespaltenen Zunge, ich sah nur das rötliche Braun, in dem alles gemalt war. Und zum ersten Mal fragte ich mich, was ich eigentlich hier tat, in einem Haus, in dem die Borsten eines Pinsels in Menschenblut getaucht werden …
Kapitel 21
Ein melodisches Zwischenspiel
T
s, ts, ts«, machte Lord Mandible gespielt vorwurfsvoll, nahm Percy vom Cembalo, küsste ihn auf die Nase und setzte ihn behutsam auf dem Boden ab. »Nun such schon deine heiß geliebte Schwester, such Posset«, sagte er schmeichelnd.
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