Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
das alles vielleicht verstehen würde. » Ehrlich gesagt, nein. Biba war über Nacht weg und ist inzwischen ein bisschen verspätet, und Rex kriegt Zustände.«
Nina interpretierte meinen Euphemismus richtig. » Ist er atemlos und hysterisch und redet davon, dass sie tot ist?«
Jetzt kam er auf mich zu, mit entschlossenem Gesicht und ausgestreckter Hand.
» Lass mich mit ihr reden«, sagte er. Anscheinend hatte Nina ihn gehört.
» Soll ich das übernehmen?«, fragte sie. Ich ging hinaus, wartete aber hinter ihm auf der Treppe.
» Ich weiß, ich weiß, ich kam aber nicht dazu.« Ninas Stimme fitzelte durch die Leitung, aber ich verstand nicht, was sie sagte. » Mit ’nem Typen namens Guy.« Jetzt schwieg er sehr viel länger, und als er dann sprach, klang seine Stimme wieder normal.
» Ich weiß, du hast recht«, sagte er. » Es war nur in letzter Zeit nicht eben einfach. Ich habe versucht, mit meinem Dad zu reden, und da gab’s einen kleinen Rückschlag.« Pause. » Karen? Ja, sehr sogar. Nein, es ist fabelhaft. Sie ist ungefähr das Einzige, was im Moment gut ist.« Ihre nächste Frage brachte einen liebevollen Ton in seine Stimme. » Ja, sind wir, ehrlich gesagt. Danke, Nina. Was machen die Kinder? Kann ich mit ihnen sprechen? Oh, okay. Drückst du sie von mir, wenn sie aufwachen?«
Ich schloss die Tür hinter mir und überließ es Nina, Rex vollends vom Abgrund wegzulocken. Ich fragte mich, ob ich im Laufe der Zeit auch Strategien erlernen würde, mit denen ich seinen Ausbrüchen begegnen könnte, oder ob sie sich vielleicht auswachsen würden. Es versetzte mir einen schmerzhaften Stich, als ich mich an meine ersten Besuche in Highgate erinnerte– als Nina und Rex in aller Ruhe die Rolle von Vater und Mutter übernommen hatten, während Biba und ich wie wilde Kinder zwischen den Bäumen herumrannten.
» Ihr habt euch ja nicht lange unterhalten«, stellte ich fest, als Rex den Hörer auflegte. » Ich dachte, ihr hättet euch ’ne Menge zu erzählen. Ist dieser Mann zurückgekommen?«
» Nein. Ich wollte die Leitung für Biba frei machen.« Er atmete noch einmal tief durch, beherrscht, aber zittrig. » Das Paradoxe daran ist, wenn sie zurückkommt, werde ich unendlich glücklich sein, dass sie lebt, und eine Sekunde später werde ich dann so wütend, weil sie mich das alles hat durchmachen lassen, dass ich sie am liebsten umbringen möchte. Warum tut sie das? Wie kann sie so grausam sein?«
Rex brachte Biba nicht um, als sie an diesem Nachmittag um fünf Uhr zurückkam. Guy und einer ihrer Schuhe fehlten. Stattdessen warf er ihr einen waidwunden Blick zu, legte den Kopf in den Nacken und marschierte aus dem Haus mit einer dramatischen Gebärde, die der Schauspielerin selbst würdig gewesen wäre.
» Was hat er denn?«, fragte Biba, als er die Haustür zuschlug, die aber sofort wieder aufsprang. Ich beschloss, ihr die Einzelheiten seiner Hysterie der vergangenen Nacht zu ersparen.
» Keine Ahnung«, sagte ich. » Wie war die Party?«
» Wunderbar«, sagte sie, und bei der Erinnerung wurden ihre Augen groß wie Untertassen. » Die Gegend hieß… oh, wo war das noch mal? Irgendwo im Osten. Bromley-by-Bow«, sagte sie mit dem Staunen, das sich die meisten Leute für exotische Paradiese aufheben. » Das war in einer besetzten Bude im obersten Stock eines Sozialwohnungsblocks. Ganz wie im Fernsehen, in The Bill. Die hatten sogar einen Typen mit einem riesigen Hund an der Tür. Die Polizei ist gekommen, und wir sind raus aufs Dach und haben uns da versteckt, während sie die Wohnung durchsucht haben.« Mit Übelkeit erregender, absoluter Klarheit begriff ich, dass Bibas Liebe zu ihrer Welt sich genau in dem Moment erledigt hatte, als mein Platz darin gesichert war. » Wir haben zugesehen, wie die Sonne aufging, und dann haben wir mit dem Hund auf dem Sofa geschlafen. Es war einer von den großen, schwarz-braunen Illegalen, die Kinder fressen. Er hätte mich jederzeit zerfleischen können, aber das hat er nicht getan. Du wärst entzückt gewesen.« Ich war nicht sicher. » So schade, dass du nicht mitkommen konntest.« Sie hatte wirklich vergessen, dass sie es gewesen war, die mir die Einladung verweigert hatte.
» Wo ist Guy?«
» Kümmert sich ums Geschäft. Wie schön, dich mal ein Weilchen für mich zu haben, ohne dass die schrecklichen Jungs uns dauernd in die Quere kommen. Wollen wir Cocktails trinken? Es ist doch nicht zu dekadent, jetzt anzufangen, oder? Die Sonne steht hinter der Rahnock, und
Weitere Kostenlose Bücher