Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Ernst, das mach ich.« An diesem Abend fand ich ihn auf Händen und Knien auf der Eingangstreppe, wo er Hundescheiße wegschrubbte. Als er fertig war, kippte er den Eimer aus. Seifenwasser flutete in Kaskaden die Stufen hinunter, und über dem Gehweg hing danach noch tagelang der Blütenduft von Desinfektionsmittel.
Wenn er keine nebulösen Deals vermakelte oder den Babysitter für Tiere spielte, die gegen die Kampfhundeverordnung verstießen, bestand Guys liebster Zeitvertreib darin, sich zuzudröhnen und in einem Bildband zu blättern, einem Buch mit Luftbildern von Großbritannien, das er irgendwo im Haus gefunden hatte. Ab und zu schlug er eine Seite um, starrte das Foto schweigend ein paar Minuten lang an, dann nickte er und sagte etwas wie » Wahnsinn« oder » Hammer«. Die Bilder konnten seine Aufmerksamkeit so lange gefangen nehmen, dass er sich mit einer Geschwindigkeit von drei oder vier Seiten pro Tag durch das Buch voranbewegte. Das Foto, das ihn im Augenblick hypnotisierte, zeigte Beachy Head in Sussex, eine weiße, von Gras gekrönte Steilklippe über einem rot-weiß gestreiften Leuchtturm. Laut murmelnd las er die Bildunterschrift, die erklärte, dass es sich nicht nur um ein schönes Stück Landschaft handelte, sondern zugleich auch um einen der meistfrequentierten Orte für Selbstmordversuche im ganzen Land. Sofort erwachte Bibas Interesse, und sie rappelte sich von Boden hoch, wo sie zu seinen Füßen gesessen hatte, und kam an seine Seite.
» Na ja, wenn du dich umbringen wolltest, würdest du es an einem solchen Ort tun, oder?«, sagte sie. » Ich würde mein schönstes Kleid anziehen und elegant in den Tod schweben. Glanzvoller kann man wirklich nicht hinscheiden.«
Ich wusste, dass Rex nicht da war, aber trotzdem sah ich mich rasch im Zimmer um und vergewisserte mich, dass er tatsächlich abwesend war. Ich muss besorgt das Gesicht verzogen haben, denn Biba lachte und sagte: » Ach, komm, Karen. Wir haben doch alle schon mal heimlich unseren Selbstmord geplant, oder?«
» Nein!«, sagte ich, und ich meinte es ernst, obwohl ihre Worte ein paar Monate später von den Bergen in der Schweiz widerhallen sollten, wo ich auf einer hohen Brücke auf einen eiskalten Fluss hinunterschaute, der sich wie eine verlockende Schlange dort unten durch das Tal wand. Ich hörte die Haustür. » Rex kommt zurück«, sagte ich. » Bitte hör auf, so zu reden.«
» Gott, ist ja schon gut.« Sie verdrehte die Augen und blätterte um. Auf der nächsten Seite war ein Foto von Stonehenge im Sommer.
» Irre«, sagte Guy und starrte die Standing Stones an. » Abgefuckt.«
Wir standen vor und hinter der Wäscheleine.
» Ich habe vorhin an ihre Tür geklopft, um ihre Bettwäsche zu holen, und sie hat mich nicht reingelassen. Er hat gesagt, ich soll mich verpissen, und sie hat es einfach zugelassen.« Mit geschickten Fingern zog Rex die Wäscheklammern von einem großen Paisleybettbezug herunter. Um ihn zusammenzufalten, machten wir beide zwei Schritte aufeinander zu und dann zwei zurück, als tanzten wir eine elisabethanische Pavane. » Seit drei Wochen hat sie die Wäsche nicht mehr gewechselt.« Beim Sprechen hatte er eine hölzerne Klammer im Mund. » Seit drei Wochen ist er jetzt hier.«
» Er hat’s länger überstanden, als ich dachte«, räumte ich ein. Inzwischen konnte Rex wenigstens über Guy reden, ohne gleich aus der Haut zu fahren.
» Ich werde ihm nie vertrauen«, sagte er. » Aber es ist mehr als bloß die Abneigung gegen ihn. Ich vermisse sie. Ich vermisse uns. Dass wir drei zusammen sind.«
» Geht mir auch so«, sagte ich.
» Er muss verschwinden«, sagte Rex. » Mir egal, wie. Er muss einfach weg.«
Der Rauchmief, der aus Bibas Zimmer kam, erfüllte den ganzen Treppenabsatz. Er schwebte dort wie ein konturloser Geist, der auf dem Flur zwischen ihrem und Rex’ Zimmer spukte. Wir rissen sämtliche Fenster auf, so weit es ging, aber kein Windhauch kam, um ihn zu zerstreuen.
Obwohl beide Türen geschlossen waren, konnten wir ihre Stimmen hören. Rex und ich schliefen nicht mehr in seinem Zimmer auf der anderen Seite des Flurs miteinander, sondern verzogen uns nach oben in meines.
» Ich komme heute Abend nicht mehr nach Hause. Wartet also nicht auf mich«, sagte Biba. Sie trug ein langes braunes Kleid mit einer Art Ethno-Muster und ein Paar Ohrringe mit Holzperlen und Federn. Das Outfit war für eine dunkle, üppige Gestalt wie Nina gemacht. Biba sah darin aus wie ein Totempfahl, aber wie
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