Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
so weiter.«
» Was ist eigentlich eine Rahnock?«
» Keine Ahnung, Schätzchen. Komm. Ich hab Lust auf einen Martini.« Sie holte den Wodka aus dem Eisfach und fand eine uralte Flasche Wermut mit einem halb abgelösten Etikett und einer kristallinen Kruste am Flaschenhals unter der Spüle neben den Putzmitteln. Sie ließ den Alkohol in zwei unterschiedliche Gläser gluckern.
» Muss das nach Benzin schmecken?«, fragte ich.
» Hm.« Sie fand zwei verschrumpelte Oliven in einem Glas im Kühlschrank und warf sie in unsere Gläser. Sie sanken sofort bis auf den Grund. Biba angelte ihre heraus und biss hinein. » Oh. Jetzt schmeckt die Olive auch nach Benzin.«
Wir gingen mit den Drinks nicht auf die Balkonterrasse, sondern in den Garten, wo die Bäume uns überragten– lebende, aber stumme Zeugen dessen, was passiert war. Die äußeren Blätter hatten angefangen zu vergilben, wo die Sonne sie ausgebleicht hatte. Ihre senfgelben Spitzen riefen die Illusion des Herbstes hervor. Ich wandte mich ab. Ich wollte nicht, dass die Jahreszeit jemals wechselte.
ZWANZIG
I ch sage lediglich, dass es mir nicht gefällt«, meint sie. » Geh nicht gleich wieder auf mich los, Karen. Ich will nur das Beste für mein Enkelkind.« Meine Mutter und ich versuchen auszuhandeln, wie meine Eltern Alice abholen werden, wenn sie morgen vorbeikommen. Ich möchte, dass sie hereinkommt, Rex begrüßt und eine Tasse Tee mit uns trinkt, damit wir den ersten verlegenen Besuch hinter uns bringen. Meine Mutter will draußen hupen, und Alice soll herauskommen. Sie benimmt sich wie ein Sonntagsvater, der es nicht erträgt, seiner Exfrau zu begegnen.
» Na schön, und was hast du vor? Willst du nie wieder in mein Haus kommen? Er geht nicht weg, Mum. Er wohnt jetzt hier. Er ist ihr Vater. Das musst du akzeptieren.« Schweigen. » Mum, hab Vertrauen zu mir.«
» Nicht zu dir habe ich kein Vertrauen.« Wenn sie so etwas sagt, sind meine Schuldgefühle immer am stärksten.
Der Anruf meiner Mutter hat mir die Laune schon verdorben, und als Rex nicht von seinem Spaziergang zurückkommt, wird sie dadurch noch schlechter. Es ist noch nie vorgekommen, dass er unser Abendessen versäumt hat. Ich bin sicher, jemand hat ihn gefunden, jemand, der sich an ihm rächen oder ihn bloßstellen will oder beides. Alice isst ihre Lasagne, ich schiebe meine auf dem Teller herum, und Rex’ Portion verschrumpelt im Herd. Es wird sieben, acht, neun Uhr, und noch immer taucht er nicht auf und ruft nicht an. Dafür zu sorgen, dass Alice ins Bett geht und dort ohne seinen Gutenachtkuss bleibt, ist ein Kampf, der fast eine Stunde dauert, aber in dieser Zeit starre ich wenigstens nicht dauernd auf die Uhr. Als ich schließlich ins leere Wohnzimmer komme, ist es zwanzig nach zehn. Im Geiste kalkuliere ich den Radius, den er zu Fuß abdecken kann: den Wald, den Strand, den Bauplatz, Meilen von gewundenen Hohlwegen und Landsträßchen; überall kann er dort zusammengeschlagen werden und die ganze Nacht unentdeckt liegen bleiben. Ein kleiner Muskel in meinem Augenlid fängt an zu zucken und zu flackern. Als um elf sein Schlüssel im Türschloss klickt, vertreibt der Zorn sofort meine Erleichterung.
» Wo bist du gewesen?«, fahre ich ihn an.
» Draußen.« Er sieht mir nicht in die Augen, und statt mir einen Kuss zu geben, geht er geradewegs in die Küche. Lehm und vermodertes Laub lösen sich in nassen schwarzen Flocken von seinen Stiefeln.
» Und wo?«
» Einfach nur draußen«, sagt er wie ein aufsässiger Teenager. » Ist doch egal.« Er spricht mit schwerer Zunge. Als er sein Essen aus dem Herd nimmt und damit zum Tisch torkelt, sehe ich, dass er betrunken ist– so betrunken, nehme ich an, wie seit zehn Jahren nicht mehr. Er bietet keinen hübschen Anblick, als er unbeholfen mit dem falschen Ende der Gabel auf sein Essen einsticht, und als er endlich herausgefunden hat, wie er sie umdrehen kann, wird es nicht besser. Er isst schludrig, und die Soße tropft ihm über das Kinn.
» Ich habe mir Sorgen gemacht«, dränge ich. » Rex, was ist passiert?«
» Nichts ist passiert. Lass mich in Ruhe.«
» Seit wann haben wir Geheimnisse voreinander?« Damit meine ich natürlich, dass ich zwar Geheimnisse vor ihm haben darf, er aber nicht vor mir. » Du hättest mir sagen können, wo du hinwillst.«
Er steht auf und schlägt mit der Faust auf den Tisch.
» Ich habe zehn beschissene Jahre im Gefängnis verbracht und über jede Sekunde meiner Tage Rechenschaft abgelegt«,
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