Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
und hin und her wanderte. Das ist, als enthalte das Gehirn zu viel Aktivität, sodass ein Teil davon in die Muskeln sickern und den Körper in dieser sinnlosen Weise umherbewegen muss. Vielleicht ist es deshalb auch ein so schrecklicher Anblick. Der Ärger, der dröhnend in mir heraufstieg, war beinahe gewalttätig, eine ins Ungeheure verstärkte Version der Gereiztheit, wie wenn jemand mit den Fingern auf dem Armaturenbrett trommelt oder unaufhörlich klickend auf den Knopf eines Kugelschreibers drückt. Ich merkte, dass ich anfing, Rex’ anschwellende Hysterie widerzuspiegeln.
» Fuck… hör… auf !«, sagte ich mit einer Stimme, die wie Bibas klang. Es funktionierte bis zu einem gewissen Grad. Er hörte auf mit seinem Hin und Her und fuhr sich stattdessen hektisch mit den Fingern im Haar herum. Seine Augen waren gerötet, und er verzerrte den Mund, als würde er die Zähne fletschen. Ober- und Unterlippe waren durch einen Speichelfaden verbunden. Ich hatte sein Gesicht einmal als neutral und unauffällig empfunden. Jetzt wusste ich, er konnte schön sein, aber er hatte auch eine Fähigkeit zum Hässlichsein, die ich bei ihm nie vermutet hätte.
» Ich kann nicht anders, ich denke immer nur das Schlimmste. Ich sehe sie tot, Karen. Sie hat so viel Ähnlichkeit mit meiner Mum, dass ich sie immer nur tot sehen kann, wie sie da hängt oder an einem Baum im Wald. Ich verliere sie an ihn, ich kann es fühlen, und ich werde krank davon. Ich bekomme einen Herzanfall.«
Sein Atem glich einem kurzen, abgehackten Keuchen, und ich erkannte die Anfänge einer Panikattacke. Ich hatte schon einmal eine gesehen, als ich in Spanien mit einer Frau im Aufzug stecken geblieben war, die sich den falschen Tag ausgesucht hatte, um ihre Klaustrophobie zu besiegen. Es hatte nur einen kurzen Stromausfall gegeben, und ich hatte drei angstvolle Minuten eingesperrt in einem winzigen Metallkasten mit einer Frau zugebracht, die mich davon überzeugt hatte, dass sie vor meinen Augen sterben würde. Ich hatte da nicht gewusst, wie ich mit ihr umgehen sollte, und ich wusste auch jetzt nicht, was ich mit Rex machen sollte. Ich wusste, dass Papiertüten angeblich helfen, aber das wusste ich nur auf die unbestimmte Art und Weise, wie die meisten wissen, dass Frauen in den Wehen Handtücher und heißes Wasser brauchen. Ich nahm Zuflucht zu jenem anderen Hausmittel, das wir alle kennen, aber hoffentlich niemals anwenden müssen: zur Ohrfeige. Aber meine Hand erstarrte mitten in der Luft, denn im Haus klingelte das Telefon. Rex sprang los wie ein Tier.
» Das wird sie sein.« Es hörte sich an, als ob ihn jemand erwürgte.
» Dann lass mich rangehen«, sagte ich. » Du bist nicht in der richtigen Verfassung dazu. Bleib hier und… und atme tief durch oder so was.«
Die zwei Treppen zwischen dem Samtzimmer und der Küche fühlten sich inzwischen so vertraut an, dass ich sie innerhalb von Sekunden hinter mich bringen konnte, ohne noch die einzelnen Stufen unter meinen bloßen Füßen zu spüren.
Als ich den Hörer abnahm, war die Stimme, die » Darling?« sagte, nicht die, die ich erwartet hatte. Sie klang warm, dunkel, musikalisch.
Nach einem Sekundenbruchteil hatte ich sie untergebracht.
» Nina, bist du das?«
» Karen, nicht wahr? Wie schön, mit dir zu sprechen. Haben sie dich schon ins Haus geholt?«
» Ja«, sagte ich, aber es ging mir gegen den Strich, dass sie einfach davon ausging. Es brachte mich auf den Gedanken, dass Nina mit Biba darüber gesprochen hatte, mich dort einziehen zu lassen, und dass die beiden sich darauf geeinigt hatten, mich als Ersatz für Nina zu verwenden. » Wie geht’s dir? Wo bist du?«
» In Tunis«, sagte sie. » Es ist wundervoll. Ich bin braun wie ein Milchkaffee, und die Kinder schlafen. Wir sind in einem Fünfsternehotel. Kannst du dir das vorstellen?« Ich fragte mich, wer das wohl bezahlte. » Wir haben diesen Typen im Zug kennengelernt, und er hat gesagt, wir könnten ein Weilchen bei ihm bleiben. Ich glaube, er ist hier auf einer Tagung oder so was. Ich weiß es nicht. Aber ich werde es nicht ablehnen; verglichen mit ein paar anderen Orten, wo wir untergekommen sind, ist das hier der Schoß des Luxus. Aber ich muss es kurz machen; er ist nur auf einen Sprung nach draußen, und ich bin nicht sicher, ob seine Großzügigkeit sich auf Anrufe in London erstreckt. Wie geht’s euch denn? Ist alles okay?«
» Ja«, sagte ich, und dann wurde mir klar, dass ich hier mit dem einzigen Menschen sprach, der
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