Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
und ich folgte den Wolken meines Atems ebenso wie Bibas unbestimmter Wegbeschreibung. Ich ging in Richtung Westen, weg vom pittoresken Ende des Kanals, wo Lichterketten in den Bäumen funkelten und Laternen den Weg beleuchteten. Ich kam am Londoner Zoo vorbei und rümpfte die Nase, als der Gestank von den netzüberspannten Höhen des Vogelhauses zu mir herunterwehte. Ein Vergnügungskahn voll mit halb besoffenen Touristen auf einer Dinnerkreuzfahrt tuckerte in die entgegengesetzte Richtung. Geduckt eilte ich unter tröpfelnden Brücken hindurch, wo die Leute schneller gingen und jeden Blickkontakt vermieden. Aber nur wenige Fußgänger waren unterwegs: vereinzelte Hundebesitzer, ein einsamer Radfahrer, zwei entschlossene Jogger und die üblichen Säufer auf den Bänken.
Hinter einer Biegung stellte ich fest, dass der Kanal in einem gähnenden Tunnel verschwand, und ich verfluchte mich selbst, weil ich das Boot verpasst hatte, das ich suchte. Aber dann sah ich es: Es war das letzte in einer Reihe von vertäuten Kähnen, die meinen Weg säumten. Ein rotes Boot, vielleicht das schäbigste von allen, und der Name » Aminah« stand in einer verwaschenen gelben Kursivschrift auf der Bordwand. Auf den Dächern der anderen Boote standen alte Geranientöpfe und kurze Hecken, aber auf diesem hier türmte sich ein wackliger Stapel von alten Paletten und Kisten. Zwischen Boot und Ufer klaffte eine breite Lücke. Die einzige Möglichkeit, an Bord oder wieder herunterzukommen, bestand in einer Art grand jeté, und den würde ich nicht versuchen. Ein Licht brannte in einem tief liegenden kleinen Fenster. Ich blieb stehen, plötzlich schüchtern. Wenn dies der letzte Schritt meiner Spurensuche war, dann war ich jetzt nervös nach der langen Trennung von ihr. Ich zögerte ein paar Augenblicke, dann rief ich seinen Namen, nicht ihren.
» Arouna?«, rief ich in den Abend hinaus. » Arouna! Hallo?«
Er kam nicht aus der Kajüte, sondern erschien irgendwo auf dem Deck, lautlos und dunkel wie ein Schatten, der plötzlich herausgefunden hatte, dass er sich aus der Finsternis lösen und fleischliche Gestalt annehmen konnte. Nur seine Augen und seine Ohrringe leuchteten, als er zu mir herüberschaute.
» Hallo, Arouna«, sagte ich sanft. » Kennst du mich noch?«
Er stemmte seine Körpermassen hoch, und ich fragte mich, wie ein so großer Mann auf einem so kleinen Boot leben konnte. Wenn er aufstehen wollte, musste er doch jedes Mal ins Freie gehen. Er trug eine Steppjacke über seinem Kaftan, unter dem eine Jogginghose herausguckte.
» Ja«, sagte er und entblößte nach einem Augenblick intensiver Konzentration die Zähne. » Ich kenne dich noch. Du bist eine Freundin von Biba und deshalb auch eine Freundin von mir. Komm rein, komm rein.« Die Hände, die er mir entgegenstreckte, steckten in fingerlosen Handschuhen. Ich packte seine Handgelenke und fühlte mich sicher genug, um einen Fuß auf das Heck des kleinen Boots zu setzen und den Sprung hinüber zu wagen. Das Gewicht meines Rucksacks ließ mich mit dem Gesicht voran gegen seine Brust stolpern. Er lachte und küsste mich auf beide Wangen, bevor er mich umdrehte und mich von meiner Last befreite. Über ein paar Bretter, eher eine Leiter als eine Treppe, kam man hinunter in die Kajüte, die voll von rot, golden und pink leuchtenden Decken und Teppichen war. Ein kleiner Ölofen verstärkte den Feuchtigkeitsgeruch. Spuren von Nina erfüllten den winzigen Raum– überall hingen silberne Perlenschnüre, und ich sah Fotos von ihr und ihren Kindern–, aber kein Hauch von Zigaretten oder Sandelholzparfüm und nicht einmal Kleidungsstücke deuteten darauf hin, dass Biba hier gewesen war. Das ganze Boot war auch nicht groß genug, um ihre Garderobe unterzubringen, geschweige denn sie und Arouna.
» Du armes Kind«, sagte er. » Du siehst müde aus. Trink etwas mit mir.«
Er holte ein marokkanisches Teeservice mit winzigen Gläsern hervor, und mir rutschte das Herz in die Hose. Ich war jetzt schon müde und aufgedreht vom Koffein, und der bloße Gedanke an einen starken, süß gezuckerten Tee machte mich zittrig und gereizt. Ich konnte mein Entzücken nicht verbergen, als er als Nächstes keine Teeblätter zutage förderte, sondern eine Flasche Brandy. Er goss zwei Teegläser voll und reichte eins davon mir. Arouna trank seins in einem Zug aus und lachte, als er mein sauer verzogenes Gesicht sah.
» Ich brauche so was nach einem Tag an meinem Stand«, sagte er und schenkte mir noch
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