Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
älter als ich, näher an dreißig als an zwanzig, und sie lächelte, als habe sie mich erwartet.
» Nina Vitor«, sagte sie und streckte mir eine bemehlte Hand entgegen. Als ich sie schüttelte, klingelten die Armreifen an ihren Handgelenken wie Zigeunerglöckchen. » Du musst Karen sein. Wir haben uns auf der Party nicht richtig kennengelernt, aber nach Rex’ Beschreibung habe ich dich trotzdem erkannt.«
Ich war verärgert, weil er über mich geredet hatte, aber zugleich auch enttäuscht, weil seine Schwester es nicht getan hatte.
Sie zeigte auf einen Stuhl. » Setz dich. Trink was. Ich hab viel zu viel Kaffee gemacht, um ihn allein zu trinken, und ich könnte ein bisschen erwachsene Gesellschaft gebrauchen«, sagte sie und rollte dabei mit den Augen und mit ihren R s. Ihr singender Tonfall bestätigte die portugiesische Herkunft, die ihr Name schon vermuten ließ. Sie war ein Mischling, aber ich konnte nicht sagen, welche Völkerschaften an dieser Mischung beteiligt waren. Sie bestand aus lauter Kurven und Rundungen; ihr honigfarbenes Haar war ein Gewirr aus Fragezeichen, und ihre kurzen, gebogenen Augenbrauen saßen wie Tilden über den Augen. Speckrollen quollen oben über den violetten Sarong, den sie trug, und die nussbraune Haut an Hüften und Brüsten war streifig von Dehnungsmalen, aber die Wangenknochen, die auch das überschüssige Fett nicht verbergen konnte, machten sie zu einer Schönheit. Ich rutschte auf eine Bank, die so lang wie der Tisch war, und hoffte, dass ich sie nicht angestarrt hatte. Ninas Lächeln wurde plötzlich breiter.
» Oh, meine Babys!«, rief sie. Ich dachte, sie meinte Biba und Rex, aber dann kamen zwei kleine Dreckspatzen auf kurzen Beinchen in die Küche gelaufen. Der kleine Junge leckte an seiner Hand und strich sich dann die Locken glatt.
» Ich bin viereinhalb«, verkündete er.
» Das ist Inigo.« Nina zerzauste ihm das Haar und brachte die Locken wieder durcheinander. Sie zog das Mädchen an sich und setzte es auf ihre üppige Hüfte. » Und das ist Gaia.« Das kleine Mädchen bohrte in der Nase und ignorierte mich.
» Sie ist noch keine vier«, sagte Inigo. » Was machst du in meinem Haus?«
» Ich dachte nicht, dass es dein Haus ist«, sagte ich, bevor ich mich bremsen konnte, aber Nina war nicht beleidigt.
» Wir haben das ganze Kellergeschoss«, sagte sie und klärte mich damit nur teilweise auf. » Hinten sind zwei Schlafzimmer, sozusagen unter der Gartentreppe versteckt. Hast du das neulich nicht bemerkt?« Ich verdrehte mein Rückgrat und sah, dass die hintere Wand der Küche aus hohen, schmalen Blendläden bestand, die vom Boden bis zur Decke reichten. Offenbar waren die Kinder durch einen dieser hölzernen Läden hereingekommen.
» Ich bin nicht so weit nach unten vorgedrungen«, sagte ich, aber sie war abgelenkt. Gaia zupfte am Ohrring ihrer Mutter, einem Schmuckstück, so komplex und schön wie ein spiraliges Stück der menschlichen DNA . Perlen aus gelbem und grünem Bernstein schwebten wie dicke Regentropfen in silbernen Korkenziehern. Ich befingerte die silberne Kaffeebohne, die an einer filigranen Kette an meinem Hals hing, ein Geschenk von Simon, und ich wünschte, ich hätte keine dazu passenden Ohrringe angelegt.
» Wie lange wohnt ihr schon hier?« Ich nahm einen Schluck Kaffee. Er war heiß und bitter und schmeckte ganz anders als englischer Kaffee. Ich wusste, er würde mich stundenlang wach halten.
» Ungefähr anderthalb Jahre. Nein, zwei Jahre. Ich habe Biba im Sommer ’95 kennengelernt«, erinnerte sie sich. » Und am Karnevalswochenende habe ich angefangen, mit Rex zu gehen.«
» Mit Rex?« Ich stellte mir die spröde, schwerfällige Gestalt vor, die ihren Tee geschlürft und verloren in den neuen Tag gestarrt hatte, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Dann sah ich Nina an. Sie strotzte vor Sexualität mindestens ebenso sehr wie von Fleisch. Dass sie ihn gefressen hatte, konnte ich eher glauben, als dass sie seine Geliebte gewesen war. » Mit Rex?«, wiederholte ich. » Wirklich?« Gaia rutschte vom Schoß ihrer Mutter herunter und watschelte die Treppe hinauf. Ich suchte nach einer höflichen Formulierung der naheliegenden Frage. » Und warum hat … Ich kann mir nicht vorstellen … Was hat denn … Wie habt ihr beide euch kennengelernt?«
» Du brauchst nicht so höflich zu sein. Ich weiß, dass wir ein komisches Paar abgeben.« Nina zog vergnügt den Kopf zwischen die Schultern. » Ich brauchte eine Bleibe. Wir haben
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