Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
damals auf einem Boot in Camden gewohnt, und es war so… so mies da. Ich wusste, wenn wir erst miteinander schlafen, würde er sich verpflichtet fühlen, uns unterzubringen.« Diese Offenbarung war noch schwerer zu verdauen als Ninas Kaffee. » Du findest mich zynisch, das sehe ich schon. Aber es ist anders, wenn du Kinder hast. Ich hatte schon mit schlimmeren Leuten Sex, um eine Unterkunft zu kriegen.« Ich fragte mich, wer sonst noch alles diesen großzügigen Körper geteilt hatte und unter welchen Umständen es geschehen war. Sie schenkte sich Kaffee nach, und ich legte die Hand auf meinen Becher, obwohl er fast leer war. » Er ist ein lieber Kerl, und es war schön, solange es dauerte, aber du weißt ja, wie das ist. Das Ironische an der Sache ist: Rex entspricht der allgemeinen Vorstellung von einem perfekten Fick. Bloß nicht meiner. Ich brauche es ein bisschen lateinischer, wenn du verstehst, was ich meine.«
» Äh, hm«, sagte ich. Ich hatte keine Ahnung, wie lateinischer Sex aussah, und ich fragte mich, ob es mich beunruhigen sollte, dass er in meinem Leben nicht vorkam. Gaia kam wie eine kleine Kugel zur Tür hereingerollt und bot mir eine kleine runde Tablette an, in deren kalkige Oberfläche ein Dollarzeichen eingeprägt war. Nina nahm der Kleinen die Ecstasy-Tablette aus der Hand, und die fing sofort an zu heulen.
» Wenn so etwas passiert«, sagte Nina, » bin ich allerdings froh, dass wir nicht mehr lange hier sein werden.«
» Du willst ausziehen?«, fragte ich. » Warum? Das ist das schönste Haus, in dem ich je gewesen bin. Wenn ich hier wohnen würde, würde ich für immer hierbleiben.«
» Das sagst du, aber es ist nicht immer einfach, wirklich hier zu wohnen«, sagte Nina und pulte Teigklumpen aus ihrem Stacheldrahtarmreifen. » Ich habe schon zwei Kinder. Ich muss nicht noch die Ersatzmutter für zwei weitere sein, die alt genug sind, um selbst auf sich aufzupassen.«
Das war meine Chance.
» Wann sind denn ihre Eltern… gegangen?« Ich hoffte, der Euphemismus würde die Frage beiläufiger klingen lassen.
» O Gott, das war alles lange, bevor ich sie kennengelernt habe«, sagte Nina. » Es ist tragisch. Ich frage mich manchmal, wie sie nach alldem noch hierbleiben können. Aber vermutlich hatten sie kaum eine Wahl.«
» Ach?« Ich zog eine Braue hoch.
» Ist kein Wunder, dass sie so sind, wie sie sind.« Sie zog ihre eigenen Kinder näher zu sich heran; ihre Aufmerksamkeit kehrte zu ihrer eigenen Familie zurück, und das Gespräch war mir wieder aus der Hand genommen. » Wie gesagt, ich schulde meinen eigenen Babys eine Zukunft. Ich werde sie bilden. Nicht ausbilden. Das ist ein Unterschied. Ich will sie wirklich bilden, mit ihnen auf Reisen gehen. Inigo ist jetzt im Einschulungsalter, aber vor alldem möchte ich ihn bewahren.« Nina begann eine kurze Tirade über die giftige Wirkung einer formellen Schulerziehung und schilderte dann die Einzelheiten ihres Plans, die Kinder selbst zu unterrichten, indem sie mit ihnen eine Reise zu ihren diversen genetischen Herkunftsregionen machte. Dazu gehörten die meisten Länder rund um das Mittelmeer, denn Nina stammte von algerischen und portugiesischen Eltern ab, und an Inigos Herkunft väterlicherseits bestanden beträchtliche Zweifel. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, als sie mir erzählte, wie einfach es sei, » unterhalb des Radars« zu leben, wie sie es nannte. Später sollte ich mir wünschen, ich hätte besser aufgepasst.
» Wenn du gegen Barzahlung arbeitest und keine Sozialleistungen in Anspruch nimmst, kümmert sich niemand um dich. Und ich bin Schmuckdesignerin«, sagte sie, grinste und zwirbelte ihren Ohrring mit einer silbergeschmückten Hand. » Das ist das ideale Gewerbe für jemanden auf der Flucht. Du packst einfach deine Juwelen ein und gehst.«
Ich dachte an mein eigenes Leben mit seiner langgezogenen Papierspur. Meine Ausbildung ließ sich nach Einverständniserklärungen, Stipendienanträgen, Prüfungsausschussakten und Zeugnisdokumenten bemessen. Dass es möglich war, außerhalb des staatlichen Systems zu überleben, und das nicht einmal schlecht, war für mich eine Offenbarung. Ich war ebenso schockiert wie entzückt. Wenn ich Nina dabei nicht so unbekümmert und zuversichtlich gesehen hätte, hätte ich dann den Mut gehabt zu tun, was ich später getan habe? Was sie mir bei einer Tasse Kaffee erzählte, beeinflusste meine Reaktionen, als alles passiert war. Sie brachte mir bei, wie leicht es ist zu verschwinden. Wie
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