Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
einer Einbahnstraße verlaufen: Ich hatte mir ihre Hoffnungen und Ambitionen angehört, aber ihr nichts über meine eigenen Pläne anvertraut, so vage und provisorisch sie auch sein mochten. Ich hatte das Gefühl, während ich sie erforschte und verzweifelt versuchte, alle ihre Geheimnisse und Stimmungen zu entschlüsseln, hatte sie bereits entschieden, was ich war. Die Trägheit, die mich ans Queen Charlotte’s College getragen hatte, war wieder einmal wirksam geworden, und diesmal war es meine Persönlichkeit, nicht meine akademische Karriere, die ich aus der Sicht eines anderen Menschen hatte formen lassen. Schließlich hatte ich im Grunde nicht gewusst, wer ich war oder was ich wollte, bevor ich sie kennengelernt hatte. Jetzt konnte ich genauso gut das werden, wofür sie mich hielt, und nichts anderes.
Wie eine sterbende Königin hielt Nina Hof im Gartenzimmer, und ihre Freunde kamen, um ihr auf Wiedersehen zu sagen. Einer nach dem anderen spazierte mit dem unbestimmten, aber zuversichtlichen Versprechen hinaus, sich irgendwo auf dem Kontinent zu treffen. Biba verschwand, um unsere Gläser nachzufüllen, und Rex lauerte im Korridor zwischen den beiden Räumen wie eine Stabheuschrecke in einem Glaskasten. Mir wurde klar, dass ich Bibas Bruder ohne die Ablenkung durch Nina und die Kinder jetzt noch öfter sehen würde.
» Kann ich bitte deinen Wagen haben, um sie am Boot abzusetzen?«, fragte er.
» Sie alle?« Ich war nicht sicher, ob mein Auto die beiden Kinder, Ninas und Arounas kombinierte Körpermassen und das ganze Gepäck fassen würde. » Ich denke schon…«
» Es ist okay. Arouna kann jederzeit aussteigen und schieben. Ich weiß nicht, warum sie die letzten paar Tage noch bei ihm verbringen will«, sagte Rex herausfordernd, als wäre das alles meine Idee gewesen. » Wir haben hier doch viel mehr Platz. Und Inigos Asthma wird von der Feuchtigkeit nicht besser werden. Schon ein, zwei Nächte könnten wieder einen Anfall auslösen.«
Er musste sich ins Zimmer zwängen, damit Arouna in dem schmalen Korridor an ihm vorbeikam. Arouna trug einen Koffer, der halb so groß war wie er selbst, mühelos auf der Schulter.
» Nina will dich sehen«, sagte er zu mir.
Sie saß im Lotossitz auf einer schlichten Tagesdecke auf dem Bett. Es war das einzige Mal, dass ich sie gesehen habe, ohne dass sie von einem chaotischen Durcheinander von Essen, Edelmetallen, Büchern und Kindern umgeben war. Ohne diese Chaoswolke sah sie kleiner und jünger aus.
» Ich bin so froh, dass ich dir noch auf Wiedersehen sagen kann.« Sie klopfte mit der flachen Hand auf eine Mulde neben sich. » Hör zu, ich möchte, dass du das hier bekommst.« Sie löste eine der Ketten an ihrem Hals. An einer dicken Silberschnur hing eine verschnörkelte Türkisblume mit einem winzigen orangegelben Stein in der Mitte. Sie legte sie mir um den Hals. » Sie sieht schön an dir aus«, sagte sie. » Als ich dich das erste Mal gesehen habe, dachte ich gleich: Sie wird Karen gefallen. Sie bringt deine Augen so gut zur Geltung.«
» Danke.« Ich war gerührt von dieser Geste und fühlte mich geschmeichelt, weil sie an mich gedacht hatte, als ich nicht da gewesen war. » Mit so etwas habe ich wirklich nicht gerechnet. Das ist so lieb. Wie geht’s dir? Ist alles geregelt? Kann ich noch irgendwie helfen?«
» Das hast du schon getan. Dass du mir dein Auto leihst, ist ein Himmelsgeschenk«, sagte sie, und ich wusste, dass sie hinter Rex’ Bitte gestanden hatte. » Ich werde euch alle anrufen, wenn ich mich niedergelassen habe. Nachfragen, ob alles okay ist.« Warum sollte nicht alles okay sein?
» Irgendwie hoffe ich, du lässt dich niemals nieder. Wenn ich eine langweilige alte Scharteke bin, die im Außenministerium arbeitet– versprich mir, dass du dann durch die Weltgeschichte gondelst und lauter Abenteuer für mich erlebst.«
Nina lachte.
» Versprich du mir, dass du, wenn du eine langweilige alte Scharteke bist, die für das Außenministerium arbeitet, nicht gleich Interpol auf mich hetzt, wenn ich die Kinder immer noch nicht in die Schule geschickt habe.« Ihre Umarmung war weich und warm. » Pass für mich auf sie auf.«
» Nina!« Arouna stand in der Tür, und eine schlaftrunkene Gaia klammerte sich an sein Bein. » Komm. Wir müssen gehen. Schlafenszeit.«
Nina nahm Inigo auf den Arm und stemmte ihre Massen vom Bett. Rex schob die Hand unter das Kissen, holte Inigos Inhalator hervor und schob ihn in Ninas Rocktasche.
» Danke, Babe«,
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