Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Leben sein würde: die maßgebliche Zeit meines Lebens. So war es natürlich auch, aber aus Gründen, von denen ich mir an diesem Abend nichts hätte träumen lassen. Damals schien es unmöglich zu sein, dass der Sommer je zu Ende gehen könnte. Ich freute mich schon auf den nächsten Sommer, und sogar auf den übernächsten. Mein Vater hatte gesagt, jeder Mensch habe einen Sommer, und ich hatte verzweifeltes Mitleid mit ihm. Ich war davon überzeugt, dass dies nur der erste von vielen unglaublichen Sommern sein würde, unterbrochen von wunderbaren Herbsten, Wintern und Frühjahren. Ich war blind für die Zeichen, die mir sagten, dass dieser Sommer für mich der letzte, aber auch der erste seiner Art sein würde.
ELF
S ie nahmen mein Auto, als ich noch schlief. Der lange, tiefe Schlaf dieses Sommers war eine Offenbarung für mich. Nachdem ich ein paar Tage lang um acht Uhr aufgestanden war und stundenlang am Küchentisch gewartet hatte, auf dem immer noch die Überreste des letzten Abendessens standen, begriff ich, dass die tägliche Langschläferei üblich war, wenn es nichts zu tun gab– und in der ersten Woche gab es nie etwas zu tun. Zum Abendessen setzten wir uns zusammen, aber sein Frühstück oder den Lunch wühlte man sich im Laufe des Tages aus dem Kühlschrank, wenn man es nicht einfach vergaß. In der ersten Zeit stürzte mich der fließende Zeitplan dieses Hauses in den freien Fall. Ich brauchte ein paar Tage, um zu lernen zu schlafen, wo ich hinfiel, Mahlzeiten auszulassen, wenn mir danach war, und Rotwein zum Brunch zu trinken– ein fließender Ausdruck, der auf jede Mahlzeit angewendet wurde, bei der es Eier gab und die verzehrt wurde, bevor es dunkel wurde–, wenn Biba es auch machte.
Als ich also aufwachte und den Zettel sah, der unter meiner Tür hindurchgeschoben worden war und auf dem stand, dass sie meinen Wagen genommen hatten, kam ich nicht auf die Idee, wütend zu sein– im Gegenteil, es verschaffte mir Genugtuung, dass sie mich für so locker hielten und mein Einverständnis voraussetzten. Und es war das erste Mal, dass ich Bibas Handschrift nicht als Graffito sah.
» Morgen, Dornröschen. Wir wollten dich nicht wecken. Fahren Nina und die Kids zum Flughafen. Haben deinen Wagen genommen– ist hoffentlich okay. Sind gegen acht oder neun zurück. Dann essen wir. B und R.« In die Schlaufen ihrer Initialen hatte sie Smileys gemalt.
Es war elf Uhr. Ich hatte zehn Stunden Zeit, um mich in diesem Haus zu beschäftigen, und keinen Schlüssel, um es zu verschließen, wenn ich wegginge. Hinauszukommen wäre kein Problem: Das kaputte Türschloss hatte den Dienst wieder eingestellt, und eine Scheibe Morgensonne leuchtete durch den zollbreiten Spalt zwischen Tür und Rahmen. Wenigstens stand sie diesmal nicht sperrangelweit offen und lud jeden Einbrecher ein, sich… Ja, gab es irgendetwas in diesem Haus, das sich zu stehlen lohnte? Ich sah mich in der schwarz-weißen Halle um; sie war leer bis auf einen Telefontisch aus weiß lackiertem Bambus mit einer Glasplatte, fünfzehn Jahre zu jung, um wenigstens Kitschwert zu haben. Ich lauschte auf das Klicken beim Einrasten des Yale-Schlosses und lehnte einen Stapel Telefonbücher an die Tür, damit sie wirklich geschlossen blieb.
Milch war nicht da; also trank ich meinen Kaffee schwarz. Der Koffeinkick schärfte meinen Blick auf das Durcheinander in der Küche. Im Schrank unter der Spüle fand ich ein unbenutztes Paar Gummihandschuhe und eine Anstaltsflasche Scheuermittel, deren Verschlusskappe von einem Flausch aus grauem Staub überzogen war. Mit dem Kühlschrank fing ich an; ich nahm alles heraus, warf die Lebensmittel weg, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten war, und auch zwei Stücke Käse, auf denen ein grüner Pelz wuchs; dann schrubbte ich den Innenraum, bis alles blinkte. Ich wischte Krümel und Fettschmiere von den Arbeitsflächen und fegte dann den Boden. Ich sortierte kipplige Stapel von Kochbüchern nach der Größe und spülte vier Beckenladungen Geschirr.
Die Waschmaschine war uralt, ein Toplader, so groß und hässlich wie die Industriemaschinen, die reihenweise an der Wand im Waschsalon stehen. Die Wäsche von meinem und Bibas Bett wanderte hinein, die von Essensflecken verkrusteten indischen Tagesdecken von ausgeleierten Sofas und alle Kleidungsstücke, die im Haus herumlagen. Alles warf ich in die Trommel, und dann drückte ich auf den größten Knopf und hoffte das Beste. Das ratternde Dröhnen der Maschine ließ die
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