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Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Titel: Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kelly
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die Liste der geächteten Wörter und Sätze zu Papier bringen. Bis jetzt hat es genügt, dass ich sie im Kopf hatte.
    Alice zuckt die Achseln und widerspricht nicht. Das zeigt mir, dass es kein Lapsus war, sondern ein absichtlicher Test. Sie hat das in den letzten paar Tagen schon zweimal getan: Absichtlich hat sie ihre Grenzen überschritten, um zu sehen, ob ich jetzt lockerer bin, nachdem Daddy mit dem weichen Herzen nach Hause gekommen ist. Ich muss ihr beibringen, dass ich jetzt den bösen Bullen neben einem guten Bullen spiele. Ich habe gesehen, was passiert, wenn Kinder ohne Grenzen und ohne Liebe aufwachsen. Ich werde Alice nicht verwöhnen.
    Sie stampft die paar Schritte bis in die dunkle Küche und reißt mit demonstrativem Seufzen den Kühlschrank auf. Die Beleuchtung überstrahlt sie wie ein Rampenlicht. Als sie losschreit, tut sie es mit einer unnötigen Lautstärke, die uns beide aufschreckt.
    » Mum, se bis acabado el zumo de naranja, ¿no queda mas?«
    Ich antworte ganz automatisch. » Sí, en el armario al lado de la nevera, donde siempre.«
    Alice und ich erkennen unseren Fauxpas im selben Augenblick, und eine Sekunde lang sind wir Verschwörerinnen. Sie wartet auf meine Erlaubnis zum Kichern, aber Rex’Tonfall lässt nichts dergleichen zu.
    » Alice, lässt du Mummy und mich für einen Augenblick allein?«, sagt er bestimmt. Kein » Schatz«, kein » Bitte«. Es ist das erste Mal, dass Alice ihn mit Entschiedenheit und Autorität sprechen hört, und auch für mich ist es erst das vierte oder fünfte Mal. Es ist ziemlich aufregend.
    » Willst du nicht Jade anrufen?«, schlage ich vor. » Du kannst das Telefon in meinem Zimmer benutzen.«
    Ihr Entzücken über ein unbeaufsichtigtes Telefonat ist stärker als ihr Durst und ihre Neugier.
    » Was zum Teufel war das?«, fährt er mich an.
    » Spanisch.«
    » Seit wann spricht Alice Spanisch?«
    » Es war ihre erste Sprache, als sie klein war«, gestehe ich.
    » Und wann wolltest du mir das erzählen? Oder sollte es ein Geheimnis zwischen euch beiden bleiben? Um mich aus der einzigen Familie zu verdrängen, die ich noch habe?«
    » Sie hat nur gefragt, wo der Orangensaft ist.«
    Er schließt die Augen, fährt sich mit beiden Händen durch das Haar und atmet tief durch. Als er aufblickt, hat er sich wieder unter Kontrolle. Hat er das im Gefängnis gelernt? Vor zehn Jahren wäre dieses Hirngespinst zu einer ausgewachsenen Paranoia eskaliert, aber jetzt kann er auf die Bremse treten. Wenn das vergangene Jahrzehnt in mir einen vorbehaltlosen Beschützerinstinkt herangezüchtet hat, dann hat Rex in dieser Zeit die Kunst des Verdrängens erlernt. » Ich kann nur nicht fassen, dass du es mir nie erzählt hast, das ist alles. Ich hätte es doch auch lernen können. Ich hatte zehn Jahre Zeit.«
    » Ich kann es dir beibringen«, sage ich lahm, und das Herz rutscht mir in die Hose, als ich daran denke, wie viel Geduld ich brauchen werde, um Rex, einem eingefleischten Monoglotten, eine Fremdsprache beizubringen. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, ihm von der Dunkelheit zu erzählen, die mich umgab, als Alice ein Baby war. Davon, wie der Umfang der Welt, der mir gerade noch im Breitwandformat zugänglich gemacht worden war, plötzlich auf die Größe eines Nadelstichs geschrumpft war. Von der Einsamkeit und der Frustration des Lebens zu Hause in Bletchley bei meinen verletzten, verwirrten Eltern und mit einem wortlosen, aber stimmgewaltigen Baby. Dass ich in den ersten Jahren ihres Lebens mit Alice nur Spanisch gesprochen habe, war das Einzige, das mich bei Verstand hielt. Irgendwie bewahrte es mir die Identität, die ich gehabt hatte, bevor ich Biba begegnet war, und es war ein dünner Faden, eine kümmerliche Rettungsleine, die mich mit der Zukunft verband, die ich hätte haben können, wenn ich sie nie kennengelernt hätte. Stattdessen gebe ich ihm die akzeptable Antwort, die ich damals auch meinen Eltern gegeben habe. » Ich dachte, es wäre schön, ein Talent an sie weiterzugeben.«
    Unser Gespräch ist zu Ende, weil Alice oben an der Treppe hockt. Die Treppe führt an der linken Seite des Wohnzimmers hinauf, und Alice sitzt auf der obersten Stufe und späht mit einer Mischung aus Bangigkeit und Neugier durch das Geländer. Sie hat ihren ebenso geliebten wie scheußlichen pinkfarbenen Pyjama angezogen, den meine Mutter ihr bei einem unbeaufsichtigten Besuch in Lakeside gekauft hat. Die Worte » I’m A Little Princess« funkeln in violettem Flitter auf ihrer

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