Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Brust, als hätte sie diese Aufmunterung nötig.
» Neue Regel«, verkünde ich. » Eine, die es schon eher hätte geben sollen. Daddy versteht kein Spanisch. Wenn er dabei ist, sprechen wir nur Englisch, genauso wie wir es bei Grandma und Grandpa tun.«
» Natürlich«, sagt sie ernst, entweder weil sie nicht noch einen Streit heraufbeschwören möchte, oder weil sie gerade darüber nachdenkt, welches Potenzial von » Teile und herrsche« in dem liegt, was sie gerade erfahren hat. Zutrauen würde ich es ihr. Kinder sind von Natur aus Machiavellisten, und Alice ist da keine Ausnahme. » Ich wünschte, ich wäre nie geboren«, ist die kränkende Anklage, die das Kind den Eltern entgegenschleudert, aber in meinen dunkelsten Momenten, besonders als sie klein und ich so allein war, kam mir oft der umgekehrte Gedanke: » Ich wünschte, du wärest nie geboren worden.« Es ist ein giftiger Gedanke, wenn man ihn mit sich herumträgt. Wie für Alice gibt es auch für mich eine Liste von geächteten Wörtern und Sätzen. Niemals kann ich beiläufig sagen: » Ich bringe dich um«, » Ich könnte sie umbringen« oder » Ich könnte ihn umbringen«. Dieses leere Klischee war immer eine Lieblingsfloskel von Rex.
» Wer will Fish and Chips?«, frage ich, eher um diesen Gedankengang zu unterbrechen und aus dem Haus zu kommen, als aus Appetit auf panierten Kabeljau. Alice, die so viel Spontaneität nicht gewohnt ist, klatscht in die Hände, rennt zurück in ihr Zimmer und kommt Sekunden später mit der billigen, zirkonbesetzten Tiara zurück, die sie für aufregende Anlässe reserviert hat und die unfehlbar bezaubernd wirkt. Sie ist ein manipulatives Kind mit ihren kostbar inszenierten Bühnenoutfits. Ihre Kleidung ist niemals einfach zusammengewürfelt, sondern immer mit Lust und Berechnung gewählt, genau, wie es bei Biba immer der Fall war. Aber sie hat noch etwas anderes mit Biba gemeinsam: Wenn Alice in überschwänglicher Stimmung ist, dann wirkt das ansteckend. Rex und ich brauchen diese Dynamik, diese dritte Person, die überfließt von vielfältigen Möglichkeiten und Verantwortungslosigkeit und die uns aus der Zaghaftigkeit reißt, zu der wir beide neigen, und uns in eine Welt voller Potenzial und Spaß führt. Rex hilft ihr, die Hosenbeine ihres Pyjamas in die grünen Gummistiefel zu stopfen, deren Fußspitzen mit Froschaugen und einem roten Maul bemalt sind. Mit etwas Glück wird sie die Hose am Strand ruinieren.
Bis zum Meer sind es nur zwanzig Minuten, aber wir sind spät dran und stehen als Letzte in der Schlange vor dem Fish-and-Chips-Shop. Alice kann kaum über die Theke schauen; Rex hebt sie auf seine Hüfte, und sie besteht darauf, das gesamte Menü laut vorzulesen, ehe sie ihre Wahl trifft. Das fettglänzende Mädchen hinter der Theke ist sichtlich erheitert und bezaubert von ihrer Begeisterung. Als Alices Päckchen herübergereicht wird, ist sie so aufgekratzt, dass ich befürchte, ihr könnte schlecht werden, bevor sie die erste Fritte gegessen hat.
Wir essen unseren Fisch mit den Fingern in einem Tümpel aus Laternenlicht am Rand des dunklen Strands. Der Mond scheint heute Abend nicht, und das Meer ist unsichtbar hinter einem Grat aus Kieselsteinen. Dass es da ist, hört man nur an dem Donnern, Prasseln und Schleifen jeder siebten Welle, die heranbrandet und zurückweicht. Über unseren Köpfen kreisen Möwen am sternenlosen Himmel. Sie lassen sich Zeit. Als wir fertig sind, schütteln wir die harten kleinen Fritten und Fischkrümel aus dem Papier, und jetzt stoßen die weißen Vögel herab.
Unser Haus wirkt kleiner denn je nach der Weite des Strands. Das Cottage scheint seine Größe verändert zu haben, als Rex nach Hause kam. Mit seiner Körperhöhe hat er es schrumpfen lassen, er hat ein hübsches, feminines Heim in ein putziges Häuschen verwandelt.
Bevor wir schlafen gehen, wähle ich die Mailboxnummer, um zu erfahren, ob jemand angerufen hat, während wir weg waren. Die Automatenstimme mit ihrer britischen Standardaussprache informiert mich, dass ich heute um 20 Uhr 49 angerufen worden bin. Der Anrufer hat seine Nummer unterdrückt.
ZWÖLF
E in lautes Knarren und ein Zerren an der Bettdecke bei meinen Füßen reißen mich aus dem Schlaf. Biba hatte mein Bett als Startrampe benutzt, um mit der oberen Hälfte ihres Körpers durch das Oberlicht zu springen. Ihre Beine baumeln dort im Rahmen wie die abgetrennte untere Hälfte einer Schaufensterpuppe.
» Wetterbericht«, kam ihre Stimme durch die
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