Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Schlucken leer. » Ich hab nichts Schickes hier.«
» Jetzt schon«, sagte sie, und irgendwo aus den Eingeweiden ihres Schrankes wühlte sie ein flaches Päckchen aus Seidenpapier hervor. » Happy Birthday, Cinderella. Du gehst auf den Ball!«
Das scharlachrote Kleid, das ich ausschüttelte, war alt, aber makellos: ein Neckholderkleid mit weitem Rock, wie es die Mädels in den Vierzigern zum Jitterbug mit den GI s getragen hatten. Es passte mir besser als alles, was ich je getragen hatte.
» Danke«, sagte ich. » Es ist wunderschön.«
» Perfekt!« Biba klatschte entzückt in die Hände. Sie nahm ein rot lackiertes Essstäbchen aus einem Zinnbecher auf ihrer überfüllten Frisierkommode und fasste mein Haar oben auf dem Kopf in einem losen Knoten zusammen. Die braunen Haarwurzeln, die dabei freigelegt wurde, erschienen schwarz neben dem Blond meiner Haare. Schließlich gab sie mir einen Lippenstift in der Farbe des Kleides und konzentrierte sich dann auf ihre eigene Garderobe. Sie entschied sich für einen blassrosa Petticoat und schlang sich ein schwarzes Band um den Hals. Mit einem Haarknoten tief im Nacken sah sie aus wie ein Gemälde von Degas. Im fleckigen Spiegel schaute sie mir in die Augen.
» Dir ist natürlich klar, dass er in dich verliebt ist«, sagte sie zu meinem Spiegelbild, zog mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wickelte sie um das Ende des Essstäbchens. » Gibt’s was, das du mir erzählen möchtest?«, fragte sie mit durchtriebenem Lächeln. Die Röte, die sich über meinen Hals und meine Brust ausbreitete, ein helleres, heißeres Rot als das meines Kleides, war Antwort genug für sie.
» Seit wann weißt du es?« Ich schaute hinunter in die roten Rüschen auf meinem Schoß. » Ich wollte es dir erzählen, aber…« Ich hob den Kopf und sah, dass sie lächelte. » Du hast nichts dagegen?«
» Dagegen? Ich hab meine Willenskraft dafür eingesetzt, dass es passiert. Wenn du mit Rex zusammen bist, hast du zwei Gründe hierzubleiben. Also musst du jetzt bei uns bleiben.«
» Warum sollte ich euch je verlassen?« Ich wollte noch Sekt, aber die Flasche war schon leer. Ich hatte nur zwei Gläser bekommen.
» Das tun alle.« Sie zuckte die Achseln. » Irgendwann.«
» Ladys!« Die Sommerluft war so schwer, dass Rex’ Stimme gedämpft klang, als wäre er im Haus nebenan und nicht draußen auf dem Treppenabsatz. » Eure Kutsche wartet!«
Ein Taxi– von der schwarzen Sorte, kein Minicab– wartete mit laufendem Motor auf der Straße. Biba rutschte das Treppengeländer hinunter und wirbelte Rex am Fuße der Treppe in einer kleinen Polka im Kreis herum.
» Wie du vielleicht daraus herleiten kannst, weiß sie über uns Bescheid«, sagte ich zu Rex.
» Ich freue mich so sehr für euch beide«, sagte sie und gab Rex einen leichten Klaps auf die Wange. » Das ist dafür, dass du es mir nicht erzählt hast«, sagte sie. Es war ein spielerischer Klaps gewesen, aber der Abdruck ihrer vier Finger verblasste erst, als wir schon fast an unserem Ziel waren.
Das Restaurant, in das wir gingen, war irgendwo in Bow oder Whitechapel oder Shoreditch. Ich kannte den trendigen Teil des East Ends damals nicht, und ich kenne ihn heute noch nicht. Wenn ich länger geblieben wäre, hätten Biba und ich vielleicht das Hinterland auf der anderen Seite des Old-Street-Kreisverkehrs erforscht, aber ich bin nicht geblieben, und mit wem hätte ich losziehen sollen, als ich wieder da war? Ich war nicht zu alt; ich bin immer noch im gleichen Alter wie viele der Leute, die sich heute Abend in den Bars und Klubs von Hoxton drängen werden. Aber die Umstände haben meine Möglichkeiten auf jede nur vorstellbare Weise eingeschränkt. Ich bezweifle, dass es dort Wickelräume oder Kindermenüs gibt, selbst heute.
In einer von Bibas Zeitschriften hatte ich gelesen, diese Gegend sei das neue Soho, aber man müsse schon wissen, wohin man gehen wolle, wenn man nicht den ganzen Abend zwischen verlassenen Lagerhäusern umherirren wolle, immer in der Hoffnung, über die angesagte Bar oder das Trendrestaurant der Woche zu stolpern. Jedes Gebäude, an dem wir vorbeikamen, sah verwahrlost und düster aus; sogar die paar, die modernisiert worden waren und bei denen man ganze Wände durch Glas ersetzt hatte, schüchterten mich ein, denn wie im Schaufenster präsentierten sie ausgedehnte Gruppen von selbstbewussten und modischen Menschen, die mich ganz sicher als Außenseiterin erkennen und verachten würden. Zum Glück und zu meinem
Weitere Kostenlose Bücher