Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
im Wald zu verschwinden, bevor ich sehen konnte, wie er sich verdrückte, als habe er Angst vor einer Konfrontation. Aber er brauchte keine Angst zu haben, dass ich den anderen seine Anwesenheit verriet. Ich würde nicht zulassen, dass er meinen perfekten Geburtstag störte. Die orangegelbe Glut seines Joints war das Letzte, was zwischen den Bäumen verschwand. Seine knisternden Schritte hätten alles Mögliche sein können, und dann war er fort und hinterließ nur einen Hauch von Rauch, den niemand wahrnahm außer mir.
Die Tage, die auf meinen Geburtstag folgten, kamen mir vor wie eine ganze Jahreszeit. Ich glaube, die Zufriedenheit, die ich in dieser Zeit erlebte, ist das, was mein Vater meinte, als er mir seinen Vortrag über den » einen Sommer« hielt. Kurz nach meinem Einzug in die Queenswood Lane hatte ich akzeptiert, dass ich den schmuddeligen Hedonismus auf Bibas Geburtstagsparty und Tris und Jo und ihre ausgelassene Gesellschaft nicht jeden Tag, ja, nicht einmal jede Woche erleben würde, aber nie hätte ich geahnt, welches Wohlbehagen ich in der lockeren Routine fand, die sich stattdessen entwickelte. Ich kann gar nicht sagen, was wir taten: Wir tranken, wir aßen, wir redeten stundenlang, Rex und ich gingen ins Bett, Biba las Stücke und Zeitungen, wartete auf einen Anruf ihres Agenten und fuhr alle paar Tage ins West End zum Vorsprechen, zu Kursen und geheimnisvollen, informellen Besprechungen mit Castingregisseuren oder nebulösen Leuten, die sie immer nur als » Kontakte« bezeichnete. Ihre Schauspielerfreunde traf sie hauptsächlich in der Stadt; die meisten wohnten zentral und betrachteten Highgate anscheinend als undurchdringlichen Hinterwald; einen Besuch dort nahm man nur dann in Angriff, wenn eine fabelhafte Party stattfand.
Daher gab es in diesen Wochen keinen Besuch. Wir brauchten auch keinen. Alles, was wir wollten und brauchten, war ständig buchstäblich in Reichweite. Wenn wir einander im Haus nicht finden konnten, suchten wir uns auf der Lichtung am Waldrand, und da fanden wir uns meistens. Ab und zu waren im Wald mehr Leute als sonst, und daraus schlossen wir müßig, es sei wohl Wochenende oder Feiertag.
Ich ging täglich allein im Wald spazieren, als könnte ich mich, indem ich auf den Pfaden ihrer Kindheit wandelte, irgendwie in die Vergangenheit der Capels und zugleich in ihre Gegenwart und ihre Zukunft hineinschleichen. Am liebsten war mir der Wald nach einem der tropischen Regenschauer, die für diesen Sommer typisch waren; dann war der Raum zwischen den obersten Blättern und dem Boden dampfig wie in einem Dschungel. Eine halbe Stunde nach so einem Schauer hatte ich den Wald mehr oder weniger für mich allein; die Tropfen fielen weiter von den Bäumen, und es fühlte sich an, als regne es außerhalb der realen Zeit. Ich fing an, Abfall aufzuheben, wenn ich welchen sah, ich bemerkte, wenn ein neues Graffito ins Holz einer Bank oder eines Baums eingeschnitzt worden war, und kümmerte mich darum, und nach und nach erbte ich das Gefühl der Eigentümerschaft, von dem Rex und Biba immer redeten. Ich konnte mir nicht mehr vorstellen, dass ich einmal woanders oder mit jemand anderem leben sollte. Mein Zorn auf Roger Capel nahm zu: Er, der so viel besaß und seiner ersten Familie so großen Schaden zugefügt hatte, schuldete den beiden das Erbe ihres Heims. Meines Heims.
Ich hatte vorgehabt, mindestens einmal in der Woche nach Brentford zurückzufahren, aber die Mühe sparte ich mir. Sollte die Post sich doch stapeln, mochten die Zimmerpflanzen ohne mich verwelken– na und? Um die Post konnte ich mich auch einmal im Monat kümmern, und wenn Sarah die welken Pflanzen erst gefunden hätte, wäre es mir egal, was sie dazu sagte. Ich würde nie wieder mit ihr zusammenwohnen. Zwar hatte ich das unbestimmte Gefühl, ich sollte meine restlichen Sachen abholen, meine Bücher, meinen CD -Player und meine Kleider, aber ich sah keinen Grund zu Eile.
Rex war glücklich damit, seiner Schwester und mir zu Diensten zu sein. Wenn er nicht für unser Wohlbehagen sorgte oder unseren Launen entgegenkam, redete er von seinen Träumen über das, was er mit dem Haus tun würde, wenn sein Vater es endlich auf ihn überschrieben hätte. Er konnte sonst nirgendwohin und hatte nichts anderes zu tun.
SIEBZEHN
R ex ist wieder auf einem seiner Abendspaziergänge– Mütze auf dem Kopf, Kragen hochgeschlagen, die Taschenlampe an der Hüfte wie eine Pistole im Halfter. Eine halbe Meile weit von hier ist ein
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