Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Erstaunen schien Rex aber zu den Eingeweihten zu gehören: Das verrußte vierstöckige Gebäude, bei dem er das Taxi anhalten ließ, hätte ich keines zweiten Blicks gewürdigt, wenn die lodernden Fackeln zu beiden Seiten des Eingangs nicht gewesen wären. Ich kann mich an den Namen des Restaurants nicht erinnern und würde den Weg dorthin auch nicht wiederfinden, aber bis heute sehe ich noch jedes Detail der erstaunlichen Inneneinrichtung vor mir. Es war ein konzept- und designbetontes Lokal, Welten entfernt von den Pizzerien und Pubs, die ich kannte. Ausgestopfte Tiere lauerten unter Glasglocken und hingen an der Decke. Eine Bulldogge mit Schmetterlingsflügeln schwebte an Drähten in gefährlicher Nähe zu zwei riesigen Kristalllüstern, die den Raum beherrschten und paillettenartige Lichtakzente auf unsere Haut setzten. Ölgemälde in Rokokorahmen hingen dicht nebeneinander an den Wänden, und hohe Kandelaber flackerten auf jedem Tisch. Die Servicemitarbeiter waren Kunstwerke für sich, wunderschöne, mutig gekleidete Menschen. Ich sah, dass die nüchternen, geschäftsmäßig angezogenen Finanzmakler, die etwa die Hälfte der Gäste ausmachten, in den dunkleren Ecken des Restaurants saßen, und ich war dankbar, als unsere Kellnerin, eine gemischtrassige Schönheit mit Dreadlocks, die bis zu ihren Hüften herabhingen, uns zu einem Tisch in der Mitte des Raums führte.
» Gut gemacht, Rex«, flüsterte Biba und setzte sich auf den Platz, der am besten zu sehen war. » Endlich hast du dein fabelhaftes Gen gefunden. Das beweist, dass wir doch miteinander verwandt sind.« Als ob jemand, der sie zusammen sah, je daran hätte zweifeln können.
Die Speisekarte war so groß wie eine auseinandergefaltete Zeitung, verfasst in einem komplexen, verschnörkelten Französisch mit englischen Fußnoten, die wenig Erhellendes beitrugen. Ich übersetzte, so gut ich konnte, und als die Kellnerin kam, bestellte ich für uns alle drei. Es war das erste Mal, dass Rex mich eine Fremdsprache sprechen hörte, und auch für Biba war es erst das zweite Mal. Ich genoss ihre Bewunderung.
» Wie kannst du dir das leisten?«, fragte Biba, als ihr erster Gang kam, ein Stapel von ineinander verflochtenen grünen Gemüsen, beträufelt mit einer weißen Sauce. » Ich meine, ich beklage mich nicht, es gefällt mir hier, aber ich dachte, wir wären pleite.«
» Ich habe einen Bogen Kontakte verkauft«, sagte Rex. Biba hielt inne; ein Spargelspieß schwebte einen Zoll weit vor ihrem Mund. Wieder fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, dass ich von der Schachtel mit Memorabilien unter seinem Bett ja nichts wissen durfte. » Das sind so Blätter mit kleinen Abzügen sämtlicher Fotos einer Session, auf denen man sich aussucht, welche man verwenden will. Mein Dad hat ein paar davon dagelassen, als er ging. Die können ganz wertvoll sein, wenn sie von jemand Berühmtem stammen oder signiert sind. Die echten Sammlerstücke haben wir schon vor Jahren vertickt, aber für einen von denen, die noch da waren, habe ich zweihundert Pfund gekriegt.«
» Hat er dir denn nicht schrecklich viel bedeutet?«, fragte ich.
Rex zuckte die Achseln. » Das hier bedeutet mir mehr.«
Wir hätten mit der U-Bahn nach Hause fahren können, aber Rex bestand darauf, noch einmal ein Taxi zu nehmen, und gab seinen letzten Zwanziger dafür aus. Wir drei setzten uns auf den Rücksitz, und jeder der beiden legte den Kopf auf meine Schulter, ohne zu merken, dass der andere es auch getan hatte. In diesem Augenblick erreichte mein Glück eine beinahe transzendentale Ebene, und ich wollte nicht, dass diese Fahrt je zu Ende ging. Ich fühlte mich nicht mehr wie eine Außenseiterin, sondern wie etwas, das die beiden miteinander gemeinsam hatten.
Das Haus lag im Dunkeln. Meine Nase zuckte, als ich unten an der Treppe wartete, während Rex und Biba über das kaputte Schloss meckerten. Ich habe festgestellt, wenn man nicht raucht, hat man einen schärferen Geruchssinn, und man riecht Dinge, die Raucher nicht wahrnehmen können– Alice soll sich nur hüten, wenn sie als Teenager glaubt, sie kann heimlich Zigaretten rauchen. Jemand in der Nähe rauchte Marihuana oder hatte es kürzlich getan. Es war ein schwerer, schwindelerregender Geruch, ganz anders als der leichte, beinahe blütenhafte Duft des Haschischs, das Rex hatte. Es roch dunkel und würzig wie das beißende Gras, das Guy ins Haus gebracht hatte. Mein Blick folgte meiner Nase. Guy war schnell, aber nicht schnell genug, um ganz
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