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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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über den Berg aus kaputten Kisten und Fässern gebeugt und damit begonnen, nach und nach alles beiseite zu räumen.
    Ein zweites dünnes Bein, ebenfalls strumpflos, wurde sichtbar. Es wurde teilweise von einer lumpigen Hose bedeckt. In der Hose, die mit einem Seil an den Hüften festgezurrt war, da sie offenbar viel zu groß für den Träger war, steckte ein zerschlissener Pullover, darüber war eine löchrige Felljacke gezogen worden. Zwei schmale Hände, die sich verzweifelt hin- und herbewegten. Schließlich kam ein schmutziger Hals zum Vorschein und dann ein Kopf, dessen Gesicht von einer Strickmütze verdeckt wurde.
    Pistoux zog die Mütze von dem Kopf und blickte in das erschreckte Gesicht eines Jungen von vielleicht zehn Jahren. Grüne Augen und ein wirrer blonder Haarschopf.
    »So ein Bengel!«, rief Frau Dunkel empört.
    Als der Junge merkte, dass die schweren Kisten, die ihn heruntergedrückt hatten, beseitigt waren, blickte er um sich und richtete sich flink auf.
    Die Bäckersfrau hatte wohl damit gerechnet, denn mit einem Mal stand sie neben Pistoux mit einem Besen in den Händen, den sie drohend in die Höhe hielt.
    »Na warte!«
    Der Junge zuckte zusammen, drehte sich beiseite, strampelte sich von den letzten Holzstücken frei, die ihn behinderten, und wollte aufstehen.
    »Hier geblieben!«, schrie Frau Dunkel.
    Pistoux versuchte den Jungen zu fassen, bekam jedoch nur die Mütze in die Hand. Der Besen sauste hernieder, verfehlte aber sein Ziel. Der Junge sprang auf und brach sofort wieder mit einem lauten Schmerzensschrei zusammen. Die Bäckersfrau schlug mit dem Besen auf ihn ein. Der Junge jaulte auf wie ein geprügelter Hund und versuchte, sich in Sicherheit zu bringen. Aber er schaffte es nur, sich in den Schnee zu rollen, wo er sich hilflos zappelnd bemühte, den Schlägen von Frau Dunkel zu entkommen.
    »Aber Frau Dunkel!«, rief Pistoux. »Was tun Sie denn?«
    »Ich werde euch Pack Mores lehren!«, rief die Bäckersfrau und drosch weiter auf den Jungen ein, der sich nun nicht mehr anders zu helfen wusste, als sich zusammenzurollen und den Kopf mit den Armen zu schützen. »Halt doch! Der Junge ist verletzt!«, rief Pistoux.
    Endlich gelang es Pistoux, der hysterischen Frau den Besen zu entwinden und sie beiseite zu drängen. An die Hauswand gelehnt, blieb sie keuchend stehen. Der Junge lag regungslos da und schluchzte erbarmungswürdig.
    Pistoux trat zu ihm und wollte ihn hochziehen.
    »Nicht! Mein Fuß!«, rief der Junge.
    Pistoux nickte: »Ich werde dich tragen.«
    Er hob ihn hoch und trug ihn durch die Kammer in die Backstube, wo er ihn auf den leer geräumten Tisch in der Mitte des Raums setzte. Der Junge hob die Arme, um sein Gesicht zu bedecken, senkte sie dann und blickte Pistoux und die Bäckersfrau aus verheulten Augen an.
    »Wer bist du?«, fragte Pistoux.
    »Niemand«, sagte er, und da hatte er sich auch schon eine Ohrfeige eingefangen.
    »Na warte!«, rief die Bäckersfrau. »So eine freche Antwort zu geben.«
    »Frau Dunkel! Hören Sie auf!« Pistoux war empört und drängt die Bäckersfrau zur Seite. Der Junge hatte wieder schützend die Arme vors Gesicht genommen.
    »Sag uns deinen Namen«, forderte Pistoux den Jungen auf, doch der rührte sich nicht.
    »Wie heißt du?«, wiederholte Pistoux.
    »Niemand«, murmelte der Junge hinter den gekreuzten Armen.
    »Na gut, wir sehen uns jetzt erst mal deinen Fuß an.«
    »Werden Sie mich jetzt vergiften?«
    »Vergiften? Nein. Wieso denn das?«
    Pistoux begann, den Stiefel des Jungen aufzuschnüren. Der Schuh war in jämmerlichem Zustand, die Sohle hatte sich teilweise gelöst. Als Pistoux versuchte, den Stiefel vom Fuß zu ziehen, brüllte der Junge vor Schmerz und machte eine so heftige Bewegung, dass er beinahe vom Tisch gefallen wäre.
    Pistoux ging vorsichtiger zu Werke und schaffte es, den Schuh auszuziehen, während der Junge die Zähne zusammenbiss und stöhnte. Frau Dunkel stand abseits und sah dem Ganzen mit finsterer Miene zu. Der Junge trug keine Strümpfe, sondern stattdessen einen fleckigen Stofflappen. Pistoux nahm den Lappen ab, und ein schmutziger Fuß kam zum Vorschein. Pistoux tastete ihn ab. Der Junge stöhnte. Als Pistoux den Fuß vorsichtig hin- und herbewegte, schrie der Junge laut auf vor Schmerz.
    »Da ist eine Schwellung«, sagte Pistoux. »Die wird noch sehr viel schlimmer werden. Der Fuß ist möglicherweise gebrochen, vielleicht auch nur verstaucht. Das kann nur ein Arzt beurteilen.«
    »Ich kann nicht mehr

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